Die Glücksbäckerei – Das magische Rezeptbuch
einen wahren Vulkanausbruch: Alle Bibliothekarinnen kreischten und schrien und gingen mit Krallen aufeinander los. Mrs Canterbury kauerte sich unter den gusseisernen Café-Tisch, um ihr Gesicht zu schützen, während Miss Karnopolis hinter den Ladentisch stürmte und sie mit Heidelbeermuffins bewarf. Mrs Hackett und Mrs Crisp lagen ringend am Boden in den verkleckerten Bruchstücken der Kokoscreme-Torte, während andere um sie herumstanden und Beifall klatschten.
Basil und Nella kamen aus dem Garten hereingerannt, um zuzusehen, gefolgt von Mrs Carlson. »Wie die Tiere!«, sagte Mrs Carlson. Das Kampfgetümmel weckte sogar Tymo, der in den Verkaufsraum getaumelt kam und sich den Schlaf aus den Augen rieb.
»Chip hat dem dreifachen B unsere Plätzchen gegeben«, zischte Rose. »Ich glaube, sie haben gewirkt.«
Tymos Mundwinkel verzogen sich etwas nach oben. »Cool«, sagte er.
Aber Rose fand es gar nicht cool. Es war gemeingefährlich.
»Ich bringe die Kleinen in Sicherheit!«, rief Mrs Carlson und scheuchte Basil und Nella aus der Küche nach oben. Einen Moment später trat Chip als Retter auf. Er stürzte mit einem schnurlosen elektrischen Küchenquirl und einem Gasbrenner für Crème brûlée, die er wie Turnierwaffen gezückt hielt, zur Tür herein. »Schluss jetzt!«, rief er, ließ den Quirl surren und warf den Gasbrenner an. Ein blauer Flammenstrahl schoss in die Luft.
Die Bibliothekarinnen hörten zu streiten auf und zogen sich rücklings zum Ausgang zurück, wobei sie vor sich hin murmelten, dass Chip wirklich teuflisch gut aussähe, aber nicht wirklich eine Stimmungskanone sei. Als die Letzte wieder im Bus war, schloss Chip nervös die Ladentür ab.
»Ich glaube, es ist das Beste, für heute zu schließen«, sagte er. Er klang völlig erschüttert. Welche Schrecken er als kämpfender Soldat auch gesehen hatte, sie waren nichts gegen diesen soeben erlebten Tortenkrieg.
»Lass uns diese Schweinerei aufwischen, Chip«, sagte Lily.
»Das ist eine gute Idee«, pflichtete Rose bei. »Ich komme gleich helfen. Ich muss nur schnell etwas aus dem Kühlraum holen.« Und sie zerrte Tymo in die Tiefe des Kühlraumes.
Hektisch blätterten die Geschwister die Seiten des alten Backbuchs durch und fanden schließlich das Rezept für die
Wahrheitsplätzchen
. Den Rand zierte ein Bild, das der Szene, der sie gerade beigewohnt hatten, stark glich: Männer und Frauen in Holzpantinen und zweispitzigen holländischen Hauben warfen sich Brotlaibe an den Kopf und schrien sich an.
Rose fand den Absatz, nach dem sie gesucht hatte:
Lady Birgitta Glyck vermengte zwei Fäuste Mehl mit zwei Fäusten braunem Zucker, drei Hühnereiern und dem sanften Schlafatem von jemandem, der noch nie gelogen hat. Das erwies sich als milde Abhilfe selbst für den unverfrorensten Lügner.*
Es folgte allerdings nicht
et cetera
, sondern ein Sternchen.
Am Ende der Seite, versteckt zwischen den zarten Linien der Illustration, fand sie eine Notiz. Die Schrift war nur schwer zu entziffern, vor allem im Licht der winzigen Taschenlampe, die Rose in die Tasche geschoben hatte, aber sie konnte immerhin erahnen, worum es ging.
* Mit einem Glas Milch zu verabreichen.
Ohne die mildernde Zugabe von Milch – von Kühen, Schafen, Ziegen oder Katzen – wird die Zunge der Lügner nicht nur gelöst, es wird auch die ganze Bosheit all derjenigen zutage gefördert, die ansonsten wohlweislich aus Höflichkeit ihre Zungen in Zaum halten. Chaos bricht aus.
»Tymo! Du hast behauptet, der Zusatz sei nicht wichtig! Er ist aber
sehr
wichtig!«
»Pech, Rosita.
Mucho
Pech«, sagte er. »Ich geh wieder ins Bett.« Ehe er die Tür schloss, warf er ihr einen Blick zu und sagte: »Es sieht so aus, als ob ich nichts richtig machen kann. Du klingst genau wie Mom.«
Rose lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie wusste genau, wie er sich fühlte.
Rose schlug das Buch zu und eilte aus der Bibliothek. Fast hätte sie vergessen, die Tür abzuschließen. Sie rannte aus dem Kühlraum und stolperte über eine sehr große Frau in einer langen gestreiften Hose und einer Schürze.
Rose stand auf und klopfte sich keuchend die Kleider ab.
Tante Lily.
Tante Lily hatte am Kühlschrank gelehnt und gewartet. Ihre wahre Miene verbarg sich unter Make-up und Rätselhaftigkeit. »Würdest du mir vielleicht sagen, was du hier drin gemacht hast?«, fragte sie.
Kapitel 9
Froschkönig in den Lüften
Lily wiederholte ihre Frage. »Was hast du da drin gemacht, Rose? Du bist ganz
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