Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
geträumt, das Internat eines Tages zu erweitern und eine Tagesschule für begabte finanzschwache Kinder der Region zu eröffnen.
»Ob du jemals das Geld zusammen bekommst, um die Tagesschule bauen zu können?«, fragte sie und wandte sich um.
Ihr Vater stand noch immer neben seinem Lieblingssessel und beobachtete sie. Seine Wangen hatten sich gerötet.
Grieser fädelte sich auf den Zubringer zur Autobahn ein und bog auf die Autobahn Richtung Mannheim ab. Dann reihte er sich in den stetig dahinfließenden Verkehr ein. Er blickte auf die Uhr. In spätestens einer Stunde sollte er bei Lehmann im Internat sein, sonst würde er ihn nicht mehr erwischen.Das zumindest hatte sein Sekretär behauptet. Er dachte darüber nach, ob er sich wieder bei Paul melden sollte. Die Versuchung war groß. Er sehnte sich nach seiner Stimme, seinen Händen, seinem Geruch. Er wünschte sich nichts sehnlicher als eine Beziehung. Doch Paul hatte offen von seinen sexuellen Eskapaden der vergangenen Monate erzählt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er Spaß daran fand. Und den würde er sicher auch weiterhin haben wollen.
Ein dunkler Mercedes überholte und quetschte sich in die Lücke zwischen ihm und einem Hyundai. Der Hauptkommissar nahm den Fuß vom Gas und wartete, bis sich der Abstand wieder vergrößerte. Er hatte vor seiner Fahrt noch einen kurzen Abstecher nach Mainz gemacht, hatte sich mit frischer Wäsche eingedeckt und war dann zum Präsidium gefahren, um einen Dienstwagen zu holen.
Der dunkle Mercedes vor ihm wurde langsamer. Grieser drückte das Gaspedal durch und zog nach links. Er überholte beide Wagen und kehrte dann auf die rechte Spur zurück. Die Fahrbahn vor ihm war frei.
Grieser schob die quälenden Gedanken beiseite und zwang sich, über die Befragung von Hertl nachzudenken. Irgendwas stimmte an seinen Aussagen nicht. Sie erzählten alle, es sei am Samstag nichts Besonderes vorgefallen. Die ehemaligen Klassenkameraden hatten sich nach langer Zeit das erste Mal wiedergesehen. Eingeladen von Schwester Lioba zu ihrer Weihe. Doch die Äbtissin hatte sich zwei Wochen zuvor heftig mit dem Mordopfer gestritten. Hertl wiederum bedrohte Schürmann per Mail, wollte aber nicht sagen, warum. Und was war mit Pfarrer Windisch und Thomas Kern? Grieser hatte das Gefühl, die beide wussten etwas, genau wie die Oberin. Aber keiner machte den Mund auf.
Der Hauptkommissar sah auf die Uhr. Dreizehn Uhr. Er überlegte, ob er sich in der Raststätte etwas zu essen besorgensollte. Doch was er in den vergangenen Tagen von dort gegessen hatte, war mies gewesen. Also warten bis Heidelberg, trotz Hunger. Grieser griff zur Freisprechanlage und wählte Sabine Baums Nummer.
»Ja, Chef?« Ihre Stimme klang blechern.
»Ich will, dass du noch mal mit der Äbtissin sprichst. Ich will wissen, warum sie sich mit Miriam Schürmann gestritten hat.«
»Ey, ey, Chef«, erwiderte Baum undeutlich. Sie kaute.
»Außerdem solltest du mit Pfarrer Windisch und auch noch mal mit Kern sprechen. Irgendwas läuft da zwischen den ehemaligen Klassenkameraden.«
»Irgendeine Idee?«, fragte Baum und hustete.
»Erkältet?«, erwiderte Grieser. Hoffentlich fiel sie nicht ausgerechnet jetzt aus. Er schätzte ihre zuverlässige Arbeit und ihre unaufdringliche Art. Er und Baum kannten sich seit ihrer Ausbildung. Sie war erst vor kurzem nach einer fünfjährigen Familienphase in den Dienst zurückgekehrt. Als sie ihm zugeteilt wurde, hatte sie sich ehrlich gefreut. Ihre beiden Söhne versorgte jetzt ihr Mann, ein Finanzbeamter, der sich vorgenommen hatte, die nächsten fünf Jahre zu übernehmen.
»Nö«, erwiderte sie gelassen.
Grieser brummte. »Nein, keine Idee«, antwortete er dann.
»Kramer hat erzählt, in der Wohnung der Schürmann lagen jede Menge Bücher und Unterlagen über Hildegard von Bingen. Sieht so aus, als hätte sie damit gearbeitet. Viele Stellen waren angestrichen. Sie hat sich auch Notizen gemacht.«
»Und?«, fragte Grieser.
»Keine Ahnung, ob uns das weiterbringt«, sagte Baum und seufzte.
Grieser blinkte und überholte einen LKW mit Baumstämmenauf der Ladefläche. Mehrere Rindenstückchen prallten von seiner Windschutzscheibe ab. »Frag Kramer, ob er aus ihren Aufzeichnungen zu Hildegard von Bingen schlau wird«, sagte er und scherte vor dem Holztransporter wieder ein.
»Okay, ich werde sehen, was heute noch geht. Ansonsten mache ich morgen weiter«, erwiderte Baum.
Zwanzig Minuten später rollte Grieser auf den Parkplatz des
Weitere Kostenlose Bücher