Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
ist mit dem Workshop?«, fragte sie und hüstelte nervös. »Wir wollten doch morgen früh um 10 Uhr den Workshop abhalten.«
Schwester Lioba schloss die Augen und rieb sich nervös die Stirn. Die Versuchung war groß, sich zu verstecken und für einen Moment außer Acht zu lassen, dass sie vor wenigenTagen eine Lebensaufgabe übernommen hatte. Und diese lautete, die Gemeinschaft zu führen.
Die Äbtissin wandte sich um und begegneten den Blicken vieler Schwestern. Manche sahen sie besorgt an, andere waren eher verwirrt. Schwester Raphaelas Blick wirkte ungewöhnlich fröhlich, in ihren Augen lag Triumph. Ansporn genug, sich zusammenzureißen.
Schwester Lioba kehrte zurück an ihren Platz und blieb erhobenen Hauptes hinter ihrem Stuhl stehen. Sie legte beide Hände auf die Rückenlehne. Im Refektorium war Stille eingekehrt wie in der Kirche kurz vor dem Morgengebet. Kein Habit raschelte, kein Gesangbuch wurde aufgeschlagen, niemand räusperte sich.
»Ich habe bisher noch keine Mitteilung von der Polizei erhalten«, begann Lioba. Sie spürte, wie sich Schweißperlen in ihren Achseln sammelten. »Aber ich zweifle nicht daran, dass unser geliebtes Kloster ein zweites Mal zum Schauplatz eines abscheulichen Verbrechens geworden ist.«
Ein Seufzen war zu hören, mehrere Schwestern neigten den Kopf und schlossen die Augen für ein kurzes Stoßgebet. Schwester Lioba faltete die Hände und sandte ebenfalls ein stummes Gebet an ihren Schöpfer. Dann richtete sie entschlossen den Blick auf die Schwestern vor ihr.
»Ich gehe davon aus«, fuhr sie fort, »dass die Polizei mir in Kürze mitteilen wird, was vorgefallen ist. Unter diesen Umständen ist es natürlich fraglich, ob wir an dem Workshop für die Zukunft unserer Gemeinschaft festhalten sollten.«
»Ein Zeichen des Himmels.«
Die Worte waren geflüstert, aber unzweifelhaft für die Ohren aller bestimmt. Schwester Lioba zog die Augenbrauen zusammen und wandte ihren Kopf Schwester Teresa zu. Diese presste die Lippen zusammen und starrte unverwandt auf den Boden.
Sicher war auch Schwester Teresa um die Zukunft des Konvents besorgt. Doch sie missbilligte ganz und gar den Termin des Workshops. Daran hatte sie keinen Zweifel gelassen, als Schwester Lioba gestern vor dem Abendessen den Termin mitgeteilt hatte. Der Ostersamstag sollte dem Gebet gehören wie überhaupt die Ostertage. Doch Silvia Neureuther musste sie Ostersonntag bereits verlassen, und Schwester Lioba legte größten Wert darauf, dass sie diesen Workshop leitete. Und wenn konservative Schwestern den Workshop boykottieren sollten, dann umso besser. Dann würden eben die progressiven Schwestern über die Zukunft der Gemeinschaft entscheiden. Die Äbtissin war entschlossen, auch unter diesen erschwerten Bedingungen an dem Workshop festzuhalten.
Schwester Lioba musterte das missbilligende Gesicht Schwester Teresas. Sie fragte sich, ob diese vielleicht heimlich Silvia Neureuther angerufen hatte, um den Besuch der weltlichen Unternehmensberaterin im Kloster zu verhindern. Ihr Blick glitt über den untadelig sitzenden Schleier und die gefalteten Hände bis hinab zu den Knien. Im dunklen Tuch des Habits waren eigenwillige Querfalten zu sehen.
Die Äbtissin hob wieder die Augen und begegnete dem trotzigen Blick Schwester Teresas. Sie zweifelte nicht daran, dass Schwester Teresa auch in diesem Jahr ein Holzscheit in ihr Zimmer geschmuggelt hatte, um sich noch vor Morgengrauen zu einem stummen Gebet auf dessen kantigen Ecken niederzulassen. Das zweite Vatikanische Konzil in der ersten Hälfte der 1960er Jahre hatte Selbstkasteiungen dieser Art verboten. Vor dem Konzil war es in vielen Klöstern durchaus üblich gewesen, das Karfreitagsfrühstück auf Holzscheiten kniend einzunehmen. Bereits ihre Vorgängerin hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie Praktiken dieser Art in ihrem Orden nicht duldete. Aber es war ein offenes Geheimnis,dass Schwester Teresa das Gebot des Gehorsams in diesem Fall missachtete. Schwester Lioba fragte sich, ob ihre Mitschwester nicht auch bei anderen Gelegenheiten versuchte, auf Umwegen ihren eigenen Willen durchzusetzen.
»Ich denke nicht, dass es ein Zeichen des Himmels ist«, sagte Schwester Lioba und blickte in die Runde. Einige der Schwestern wagten nicht, sie anzusehen. »Ich denke, die beiden Taten gehen auf rein menschliche Verfehlungen zurück. Darin kann und mag ich kein göttliches Zeichen sehen.«
Einige Schwestern der Gemeinschaft nickten, andere neigten demütig den
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