Die goldene Barke
Tallow auf eine Hütte zu, die größer als die anderen war und in der Mitte der Lichtung stand. Er blieb stehen und klopfte an eine der Wände. »Wer ist da?« Die Stimme, die aus der Tiefe der Hütte kam, war dunkel und befehlsgewohnt.
»Niko. Ich habe einen neuen Rekruten dabei, den Sie sich
einmal anschauen sollten. Er heißt Tallow. Wir haben sein
Boot requiriert, Oberst Zhist.«
»Kommen Sie herein!«
Im Inneren der Hütte war es dunkel, und es roch hauptsächlich nach schlechtem Pfeifentabak. Als sich Tallows Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er einen Mann, der nur sechs Zoll größer als er selbst war. Ein kleiner Mann mit einem dünnen Bart, großen braunen Augen, einem schmallippigen Mund und einer Adlernase. Zhist hatte einen hohen Schädel, und der Körper wirkte drahtig.
»Danke, Niko, Sie können gehen«, sagte Zhist und nickte seinem Leutnant zu. »Tallow ist hier fremd, nicht wahr?« »Ja, Sir«, erwiderte Niko und ging mit eingezogenem Kopf aus der Hütte.
Als Niko verschwunden war, gab Zhist Tallow ein Zeichen, sich neben ihn zu kauern. Er zog an einer langen Pfeife und reichte auch Tallow eine, die schon gestopft war. Tallow zündete sie sich an, und der Rauch drang ätzend in die Kehle ein. Als das Zeug die Lungen erreichte, hustete er so sehr, daß der ganze Körper bebte.
»Offensichtlich unsere Waldmischung nicht gewohnt?« grin
ste Zhist.
»Nein«, sagte Tallow, durch Zhists freundliche Art beruhigt. »Was möchten Sie mich fragen?«
»Ich möchte herausbekommen, ob Sie ein Spion sind oder ob Sie für uns von Nutzen sein können. Und ob man Ihnen trauen kann.«
Tallow entschloß sich, das Risiko einzugehen, ohne Umschweife zu reden. »Ich bin kein Spion«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen von Nutzen sein kann, aber Sie können mir vertrauen, daß ich keinen Ihrer Pläne verraten werde. Sie können jedoch nicht von mir erwarten, daß ich nicht abhaue, wenn sich mir die Gelegenheit bietet. Ich habe etwas Wichtiges zu tun.«
»Recht und billig«, sagte Zhist. »Sie sind uns nichts schuldig. Lassen Sie mich aber ein wenig über das reden, wofür wir kämpfen. Vielleicht haben Sie dann mehr Verständnis für unsere Sache.«
»Gut«, erwiderte Tallow. »Aber ich sage Ihnen gleich, vieles von dem, was Sie mir erzählen werden, wird bei mir auf taube Ohren stoßen.«
»Das Risiko nehme ich in Kauf«, meinte Zhist ernst. »Wir sind Banditen, Abtrünnige, Guerillas, wie Sie wollen. Vor sieben Jahren wurde unser Herrscher, Fürst Gorjin, vom Volk abgesetzt. Ein schlechter Mensch war er nicht, es lag einfach daran, daß er ein Regierungssystem repräsentierte, das dekadent, unwirtschaftlich, ungerecht und überholt war. Wir änderten es also, verbannten Gorjin und errichteten ein neues Regierungssystem, das vorübergehend von dem Mann gelenkt wurde, der die Revolution angeführt hatte: General Damaiel Natcho. Muß eigentlich immer das gleiche geschehen? Natcho mißbrauchte das Vertrauen, welches das Volk ihm entgegenbrachte. Er regierte das Volk tyrannischer, als das Gorjins Minister je getan hatten, und da der größte Teil der Armee aus Männern bestand, die Natcho bewunderten und schätzten, gelang es ihm, das Volk zu unterdrücken. Unzufriedene erhoben sich, um ihn zu stürzen. Das klappte nicht. Eine Reihe von uns wurden verhaftet und erschossen, andere, wie ich, flohen in die Wälder. Seither bekämpfen wir Natcho, wann und wo es nur geht, und bauen unsere eigene Armee auf. Ich bin sicher, er weiß nicht, wie gut wir organisiert sind, sonst würde er uns längst schon mit einem genau geplanten Gegenangriff überzogen und uns vernichtet haben. Wir sind ein Stachel in seinem Fleisch, aber einer, den er unterschätzt hat. Vor kurzem haben wir ein Waffenlager der Armee überfallen und fast alle dort gelagerten Waffen erbeuten können. Wir haben danach das Lager gesprengt, und wir sorgten dafür, daß es so aussah, als seien die Waffen dabei vernichtet worden. Wir sind jetzt gut ausgerüstet und bereit, Rimsho, die Hauptstadt, anzugreifen und Natcho abzusetzen.«
Conrad Zhist in seiner verdreckten Uniform, mit Mütze, mit wirrem Bart, hatte nicht viel an sich, das Männer zu begeistern vermochte. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Während er gebückt in der düsteren Hütte saß und von seinen Plänen sprach, und warum er sie verfolgte, wurde Tallow klar, worauf dennoch die Wirkung des Obersts beruhte. Zhist war ein geborener Redner, der die Gabe hatte, Worte zu
Weitere Kostenlose Bücher