Die goldene Galeere
fehlte.
»Was ist das für ein Schiff?« fragte Mythor.
Der Jüngling mit dem flammenden Haar sah ihn nur an. Mythor hatte den Eindruck, dass seine unergründlichen Augen Trauer und Wehmut widerspiegelten. Aus seiner Stimme sprach eine trostlose Einsamkeit, als er sagte: »Mein Name ist Nigomir. Und deiner?«
»Dann ist das die Goldene Galeere!« entfuhr es Mythor. »Die sagenumwobene Goldene Galeere aus den Eislanden, auf der ein Fluch König Irkens liegen soll?«
Der Jüngling gab keine Antwort. Er ging um den Tisch, auf dem sich ein Berg von abgegriffenen Seekarten türmte. Er fuhr mit einer knarrenden Bewegung durch die Karten, den Blick dabei ins Leere gerichtet. Er wollte etwas sagen, aber über seine blutleeren Lippen kam nur eine Reihe von unverständlichen Lauten. Er räusperte sich krächzend, dann hatte er die Stimme wiedergefunden. »Ich finde nicht den Weg zurück«, sagte er. Es klang verzweifelt, hoffnungslos.
Mythor wusste darauf nichts zu sagen. Er dachte an die Worte Calcos', der ihm die Nigomir-Legende erzählt und gesagt hatte, dass es noch niemandem gelungen sei, sich diesem Geisterschiff zu nähern oder gar seinen Fuß darauf zu setzen.
»Ich fahre die Meere ab!« rief Nigomir unvermittelt und so laut, dass Mythor zusammenzuckte. »Ich kreuze alle Gewässer! Aber wohin ich mich wende, ob nach Norden, Süden, Westen oder Osten, ich finde keine Passage! Ich finde nicht zu mir!«
Er brach plötzlich wieder ab.
»Ist es wahr, was man sich erzählt?« fragte Mythor. »Es heißt, dass du durch den Tod deiner Schwester große Schuld auf dich geladen hast.«
»Karen«, sagte Nigomir. Und dann schrie er den Namen: »Karen!«
Er sank hinter dem Kartentisch in den Sitz, ließ mit einer ungestümen Handbewegung seine Gelenke knacken, dann erstarrte er, den Blick ins Nichts gerichtet.
»Kann ich dir helfen?« fragte Mythor. »Hast du uns deshalb an Bord geholt?«
Nigomir rührte sich nicht. Er war eine mitleiderregende Gestalt, obwohl er einen starken Willen vermittelte, eine Kraft, die er aus einem nicht versiegenden Quell zu schöpfen schien. Aber er war gleichzeitig ein Verdammter, mit einem in einem Irrgarten Eingeschlossenen vergleichbar, der im Kreise läuft und dabei seine Kräfte vergeudet.
Nigomir schwieg, und so fragte Mythor: »Sind wir deine Gefangenen?«
Nigomir sprang abrupt auf, ging zu einem Waffenschrank und holte das Caer-Schwert heraus, das Mythor bei sich gehabt hatte. Er streckte es ihm mit einer eckig wirkenden Bewegung hin.
Mythor rührte es nicht an und sagte: »Es sei dein Pfand. Wozu sollte ich auf deinem Schiff eine Waffe brauchen?«
Nigomir gab keine Antwort. Er hielt das Schwert noch immer. Er schien Mythors Verhaltensweise überhaupt nicht verstehen zu können. Entweder konnte dieser Verdammte, der nur von Seelenlosen umgeben war, überhaupt nicht mehr mit normalen Menschen umgehen. Oder aber in ihm waren die Kräfte der Schattenzone mit seinem ureigensten Wesen in einem ständigen Widerstreit, so dass er sich mit Wirklichkeiten nicht mehr abfinden konnte.
»Geht jetzt!« verlangte Nigomir. »Ihr dürft euch auf meinem Schiff frei bewegen. Auch dieses. Geschöpf. Aber es soll das Gesicht verschleiern.«
»Du meinst Nyala«, stellte Mythor fest. »Sie ist die Tochter Herzog Krudes von Elvinon. Warum versetzt ihr Anblick deine Männer in Schrecken?«
»Sie sehen Karen in ihr«, antwortete Nigomir, und der Schmerz der Erinnerung brach ihm die Stimme. »Meine Männer werden darüber hinwegkommen.« Er sagte es, als könne er dies für sich nur vergebens hoffen.
Mythor wandte sich der Tür zu.
»Eines merkt euch!« rief Nigomir ihm nach. »Geht nicht unter Deck! Achtet dieses Verbot, oder.« Nigomir ließ die Drohung in der Schwebe.
Mythor verließ die Kapitänskajüte und strebte dem Bug zu. Dabei stellte er fest, dass die beiden Wachtposten verschwunden waren und die Mannschaft verschiedenen nautischen Beschäftigungen nachging.
Wäre nicht ihr ungewöhnliches Aussehen gewesen und hätte man das Ächzen und Rasseln überhört, das sie von sich gaben, hätte man sie für normale Seeleute halten können.
Der unheilvolle Bann des ersten Augenblicks schien verweht. Aber etwas Drohendes und Geheimnisvolles blieb zurück.
»Geht nicht unter Deck!« hatte Nigomir gedroht.
Mythor hätte zu gerne gewusst, was der Verdammte der Meere dort vor ihnen verbarg.
*
»Um meines Vaters willen, tu es nicht, Mythor«, bat Nyala und drückte dabei seine Hände. »Und wenn
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