Die goldene Königin
Valentine voller Freude eine weitere Verzierung in der Mitte derselben Bordüre entwarf.
Genau wie Valentine besaà Mathilde eine gewisse Begabung für das Weben, aber sie war so abgelenkt, so unkonzentriert, so mit ihrem komplizierten Leben beschäftigt, dass bei ihren mageren Versuchen nichts Gutes herauskam.
So überlegt Valentine an die Arbeit ging, so unkonzentriert und nachlässig war Mathilde. Die eine brachte ihre Ideen und Anregungen ein, die andere suchte stets nach Ablenkung und gab sich ihren Träumereien hin, was sich nicht mit einer Arbeit vereinbaren lieÃ, die volle Aufmerksamkeit erforderte. Wer weiÃ, wohin ihre Träume Mathilde an jenem Tag entführten? Zweifellos an den Hof des Königs, der ihr mit seinen Blicken den Kopf verdrehte.
»Nein, Pierrot«, sagte Alix, während sie aufstand, um sich besagten Teppich in der anderen Werkstatt anzusehen. »Wir müssen ihn abnehmen und ihn gleich morgen ausstellen, denn wir brauchen den Hochwebstuhl für Der Triumph des Sommers .«
»Aber der Karton!«
»Mathias zieht ihn gleich heute Abend auf.«
Man musste die Zeichnungen hinter die Webrahmen legen, damit man sich beim Weben an den Vorlagen orientieren konnte. Ein guter Weber veränderte allerdings Details. Daraus erwuchsen die Einmaligkeit eines Werks und der Ruf einer Werkstatt.
Während der Abwesenheit ihrer Mutter arbeiteten Mathilde und Valentine schweigend weiter. Hin und wieder beobachteten sie Arnaude, die eine bemerkenswerte Fingerfertigkeit besaÃ. Tania gewann langsam an Sicherheit. Philippe, ihr Mann, hatte ihr die Grundlagen des Handwerks beigebracht, aber sie selbst hatte sich auf das Weben von Blumen und verschlungenen Arabesken spezialisiert, die sich kreuzten und umeinander wanden. Die Blätter rankten anmutig die breiten Bordüren hinunter, die die Renaissance hervorgebracht hatte.
Als Alix aus der anderen Werkstatt zurückkehrte, ging sie zu Mathilde, stellte sich hinter sie und riet ihr mit ruhiger Stimme: »Achte gut auf deinen Rahmen, und behalte deine Kettfäden im Auge, sie sind alle vertikal. Auf ihnen musst du die Schussfäden arbeiten. Vergiss nicht, dass deine Verzierung zusammen mit dem Gewebe entsteht.«
»Aber, Mama, ich habe Lust, eine Margerite neben einer Kornblume zu weben.«
»Deine Blumen webst du anschlieÃend. Erst musst du einen Teil deiner Schussfäden durchtreiben.«
Valentine erhob sich von ihrem Platz, trat zu ihrer Schwester und legte ihr schützend die Arme um die Schultern.
»Warte, ich zeige es dir.«
»Valentine«, tadelte Alix, »wenn du Mathilde die Arbeit abnimmst, wird sie nie allein zurechtkommen.«
»Aber ich werde nie arbeiten müssen, Mama. Die Duchesse dâAlençon sagt mir stets, dass sie das nicht wünscht.«
»Das weià ich, mein Mädchen, aber wenn du in der Werkstatt vorbeischaust, will ich, dass du dich an den Webstühlen nützlich machst und nicht untätig herumsitzt. Man weià nie, was die Zukunft bereithält. Vielleicht erhältst du eines Tages die Gelegenheit, eine Werkstatt zu führen.«
Enttäuscht von der schwachen Begeisterung ihrer Schwester, kehrte Valentine an ihren Platz zurück.
»Mama«, fragte sie plötzlich, »darf ich bald einen Hochwebstuhl bedienen?«
AnschlieÃend blickte sie zu Nicolas, der gerade an der Seite seines Vaters die Bedienung lernte.
Alix musste lachen.
»Mein Liebling, ein Hochwebstuhl ist schwer zu bedienen. Das lernt man erst nach einer langen Lehrzeit, und du hast nicht genug Kraft, um ihn anzutreiben. Er birgt zu vieles, das du noch nicht kennst. Erst musst du den Flachwebstuhl beherrschen.«
Dann drehte sie sich zu Mathilde um, richtete den Zeichenkarton wieder auf, der hinter die Metallfäden gerutscht war, und half ihr, ihren Schussfaden zu korrigieren, indem sie ihr die Hand führte.
»Konzentriere dich auf deine Arbeit, Mathilde. Es ist gar nicht so kompliziert.«
»Oh doch, Mama! Ich würde lieber Wolle sortieren.«
»Wolle sortieren! Willst du wirklich solche Rückschritte machen?«
»Nein, Mama. Aber dabei kann ich besser träumen.«
»Himmelherrgott! Träumen! Von wem oder wovon?«
»Von François.«
Genau deshalb machte sich Alix Sorgen. Das Bild des jungen, fröhlichen, charmanten Königs, der wie ein tapferer Ritter ganz in Weià gekleidet war, beschäftigte Mathildes
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