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Die goldene Königin

Die goldene Königin

Titel: Die goldene Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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Nachtmantel, den Blanche ihr reichte.
    Nach einer unruhigen Nacht hatte Marguerite sich vorgenommen, ihre Zeit so zu verbringen, wie es ihr gefiel. Sie sprang von ihrer Stute und wandte sich lebhaft an Blanche, wobei sie ein wenig bedauerte, dass Mathilde mit ihrer Mutter ausgefahren war.
    Â»Ich frage mich, was die ganzen Menschen dort auf dem Kirchplatz machen. Wartet auf mich, Blanche, ich werde nachsehen, was dort vor sich geht.«
    Â»Ich begleite Euch, Marguerite. Derlei Versammlungen wühlen Euch immer auf, und das ist nicht gut.«
    Als sie den Ansturm beobachtete, der sich an den geraden Stadtmauern entlangzog, stellte Marguerite noch einmal fest, wie angenehm es war, nicht unter Aufsicht einer Eskorte auszureiten, die sie nur einengte. Blanche reckte den Hals und versuchte, einen Hinweis für die Ursache der Aufregung zu finden. Sie beobachtete die stetig wachsende Menge.
    Â»Sicher handelt es sich um die öffentliche Bestrafung einer Unredlichkeit.«
    Sie hob den Kopf noch weiter, und Marguerite tat es ihr gleich.
    Â»Vielleicht sogar um eine Hinrichtung. Seht, Blanche, das würde mich nicht wundern. Die Leute dort drängen sich, um besser sehen zu können.«
    Â»Ich kann nirgends einen Galgen entdecken. Meiner Meinung nach handelt es sich nicht um eine Hinrichtung.«
    Lose, fast etwas nachlässig banden sie die Pferde an eine dicke Eiche mit tief hängenden dichten Ästen und näherten sich der Kirche.
    Die Menge wuchs von Minute zu Minute. Einige Läden waren geschlossen. Am Hof eines Bauernhauses stand das Gatter offen, und einige Hühner entflohen in die geraden Gässchen. Ein Kind in Holzpantoffeln versuchte, sie laut kreischend wieder einzufangen, wodurch es sie jedoch erst recht in die Flucht schlug.
    Als die beiden jungen Frauen die hintersten Reihen der Menge erreichten, stießen zwei Soldaten sie nach vorn, brachten Blanche zum Straucheln und drängten Marguerite gegen ein Klatschweib, das zwei große runde Brote in den Armen hielt. Ein Maultiertreiber, der sich weigerte, von seinem Tier zu steigen, schob sie schließlich mitten in die Menge.
    So fanden sie sich eingeklemmt vor dem Schauspiel wieder, das die gesamte Menge so sensationslüstern verfolgte.
    Passanten, Händler, Pilger, kleine Diebe und vornehme Herrschaften standen in seltsamer Eintracht zusammen und sahen alle mit funkelnden Augen zu. Manche zeigten einen zufriedenen Gesichtsausdruck und verzogen die Lippen zu einem einfältigen Grinsen. Andere wirkten angespannt und verkrampft und bissen die Zähne zusammen, als müssten sie die Strafe selbst erleiden.
    Unfreiwillig drangen die zwei jungen Frauen in die erste Reihe der Schaulustigen vor und erblickten den Gefolterten. Sein Rücken war nackt, die braune Kutte aus grobem Wollstoff an seinen Schenkeln hinuntergerutscht, und seine langen mageren Füße bedeckte bis zu den Knöcheln eine zweifellos mehrere Tage alte schwarze Schmutzschicht.
    Hatte der Unglückliche sich zwischen den ersten Peitschenhieben vermutlich noch wieder aufgerichtet, beugte er sich jetzt mit krummem Rücken nach vorn und zog den Kopf tief zwischen die Schultern.
    Er war an einen Holzpfahl gebunden, die Fesseln an schweren grauen Steinen befestigt und die Arme wie Eisenstangen seitlich ausgestreckt.
    Â»Noch ein Prälat, der in Sünde lebt«, seufzte Marguerite. »Die Religion erfüllt keinen Sinn mehr.«
    Â»Die Religion! Die Religion! Welchen Sinn sollte unsere Religion noch haben, wenn diese Pfaffenschweine sich noch nicht einmal beherrschen können!«, schrie eine alte zahnlose Frau, die sich wankend auf einen Stock stützte, der genauso knorrig wie sie selbst war. Ihre Augen verschwanden in einer Unzahl von Falten.
    Â»Man sollte ihn kastrieren!«, zeterte eine rundliche Wäscherin, die den Wäschekorb zu ihren Füßen abgestellt hatte.
    Â»Ach, meine Schöne«, ereiferte sich ein Mann mit behaarten Armen und drängte sich an sie, »glaubst du nicht, dass hundert Peitschenhiebe genug sind dafür, dass er eine Jungfrau geschwängert hat?«
    Â»Hundert Schläge oder keiner, das spielt keine Rolle«, erwiderte die Alte, die dem Gefolterten mit dem Stock drohen wollte, es sich jedoch schweren Herzens anders überlegte, als sie das Gleichgewicht zu verlieren drohte.
    Der Mann mit den behaarten Armen rieb seine dicken Wurstfinger an der Lederschürze, die um seinen Körper geschnürt

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