Die goldene Königin
ist das? Was ist das?«, wiederholte er. »Seht Ihr nicht, dass es sich hier um Zeichnungen handelt?«
»Zeichnungen von einem Weber oder von einem Bildhauer?«, höhnte der Gläubiger. Dann wandte er sich an die beiden Polizisten.
»Sammelt sie ein, und nehmt sie mit.«
»Das verbiete ich Euch«, schrie Alix.
»Ach, gehören sie Euch?«
»N⦠n⦠nein!«
Alix verzog krampfhaft das Gesicht und wurde leichenblass. Es handelte sich um die Serie von Zeichnungen, die der Maler van Roome Properzia für den Wandbehang David und Bathseba mitgegeben hatte.
Wenn sie zugab, dass diese Kartons ihr gehörten, gab sie zugleich zu, Properzia zu kennen und dass es sich um ihre Werkstatt handelte.
Mathias konnte sich nicht länger beherrschen, er stürzte sich auf den Gläubiger und packte ihn am Kragen.
»Verschwindet sofort von hier, oder ich erwürge Euch.«
»Mathias«, schrie Alix, als sie sah, dass er den Mann heftig würgte. »Hör auf!«
Die beiden Polizisten, die nur auf einen solchen Ausbruch gewartet hatten, ergriffen Mathias. Sie hielten ihn fest, banden ihm die Fäuste auf den Rücken und führten ihn direkt in das Gefängnis von Tours, das hinter dem Markt der Stadt lag.
Auf der Suche nach einem Ausweg ging Alix im Kopf verschiedene Möglichkeiten durch. Doch weder Marguerite noch der König kannten Properzia und konnten ihr nicht helfen. Was tun? Zum ersten Mal in seinem Leben hatte man Mathias wie einen gemeinen Räuber ins Gefängnis geworfen. Zum Glück war Properzia in Clos-Lucé bei Leonardo da Vinci versteckt.
Auf einmal fiel ihr Philippa Lesbahy ein, Dame dâAzay, die Properzia auf ihre Vermittlung hin kennengelernt und ihr mehrere Aufträge für ihr Schloss übertragen hatte.
Sie lieà sofort die Pferde anspannen, und während der Abend heraufzog, fuhr sie mit Leo in Richtung Azay-le-Rideau. Die Nacht brach schnell herein, aber Leo beherrschte die Kutsche in jeder Situation und zu jeder Tages- und Nachtzeit, sodass sie drei Stunden später vor den Toren des Châteaus standen.
»Ich möchte zu Dame Lesbahy.«
»Da kommt Ihr zu spät. Dame Philippa empfängt niemanden mehr«, erwiderte der Pförtner argwöhnisch.
Alix seufzte vor Erleichterung, dass die Schlossherrin offenbar anwesend war. Jetzt galt es nur noch, den Pförtner zu bestechen.
»Aber sie ist da?«
»Ja. Aber sie empfängt nicht mehr. Es ist zu spät. Kommt morgen wieder.«
Alix nahm ihren Geldbeutel, löste die Kordel, holte drei Silbermünzen heraus und reichte sie dem Mann.
»Geht und sagt ihr, dass Alix de Cassex, die Weberin aus Tours, sie sprechen möchte. Wenn sie ablehnt, komme ich morgen wieder. Sollte sie jedoch einwilligen, mich sofort zu empfangen, erhaltet Ihr drei weitere Münzen.«
Die Verlockung des Geldes wirkte doch immer wieder Wunder. Eine halbe Stunde später öffnete der Mann weit die Tore zum Schloss, um sie gleich darauf wieder zu schlieÃen.
Das Gespann fuhr auf den groÃen quadratischen Hof, und Alix stieg eilig aus der Kutsche.
»Was ist geschehen, Dame Alix, dass Ihr mitten in der Nacht in mein Schloss eindringt?«
»Verzeiht, Philippa, dass ich Euch auf diese Weise überfalle. Ich werde mich kurz fassen und Euch nicht lange stören. Properzia de Rossi versteckt sich in Clos-Lucé bei dem Maler Leonardo da Vinci.«
»Was sagt Ihr?«, rief sie überrascht aus.
»Ihr wisst doch, dass sie vor dem Ruin steht und sich in Frankreich versteckt!«
» Sie hat mir zwar von schwerwiegenden finanziellen Schw ierigkeiten erzählt, von Ruin hat sie allerdings nicht gesprochen.«
»Glaubt Ihr, Philippa, dass sie aus Italien geflohen wäre, wenn noch Aussicht auf Rettung bestanden hätte? Sie ist hoch verschuldet und derzeit nicht in der Lage, ihre Gläubiger zu bezahlen.«
»Warum hat sie mir ihre wahre Lage verschwiegen? Ich hätte bedeutend gröÃere Anzahlungen geleistet.«
»Leider fürchte ich, dass das nicht annähernd gereicht hätte. Ein Gläubiger aus Bologna, der auf der Suche nach ihr ist, hat in meinen Werkstätten eine Haussuchung durchführen lassen und dabei das Atelier von Properzia entdeckt.«
Mit gerunzelter Stirn fuhr Alix fort:
»AuÃerdem hat der Gläubiger alle Zeichnungen mitgenommen, die van Roome ihr anvertraut hatte. Sie stellen die Vorlage für einen
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