Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Neuankömmlingen Notiz. Er sah sich um. Sie hatten Glück, ein kleiner Einzeltisch war noch frei. Sie bestellten Gerstensuppe mit geräuchertem Fleisch und Gemüse, dazu drei Krüge Bier und einen Becher Milch für Janek. Doch als sich Cristins Bruder nach zwei Kammern für die Nacht erkundigte, schüttelte die Wirtin den Kopf.
»Sie bedauert, aber es ist nichts mehr frei«, übersetzte Piet.
Cristin nagte an ihrer Unterlippe. »Frag sie, wo wir jetzt noch einen Schlafplatz finden.«
Piet und die Frau sprachen kurz miteinander.
»Und, was sagt sie?«, wollte Baldo wissen.
»Sie rät uns, wir sollen zum Spital gehen. Die Schwestern dort nehmen auch Durchreisende auf.«
Cristin horchte auf. »Ein Spital? Wo ist das?«
»Am anderen Ende der Stadt. Aber sie meint, das würden wir in der Dunkelheit allein nie finden.«
Piet beugte sich vor, denn das Gelächter und die Töne eines fremden Instruments machten es ihm schwer, die Wirtin zu verstehen. »Hast du jemanden, der uns hinbringen kann?« Er fasste in sein Wams und zog den prall gefüllten Geldbeutel hervor. Als er ihn vor sich auf den Tisch fallen ließ, gab er ein klimperndes Geräusch von sich. Er öffnete das Säckchen, nahm einen Goldgulden heraus und bewegte ihn spielerisch zwischen den Fingern hin und her.
Die Wirtin machte große Augen. »Wladislaw, mein Ältester, er könnte Euch zum Spital bringen.«
»Vielen Dank.«
Während er die Münze wieder in dem Beutel verschwinden ließ, wandte die Frau den Kopf. »Wladi, komm einmal her«, rief sie quer durch die Trinkstube.
Ein blonder Halbwüchsiger stellte zwei Bierkrüge auf den Holztresen am anderen Ende des Raums und bewegte sich zwischen den vollbesetzten Tischen auf sie zu. »Ja, Matka?«
»Nimm dir eine Fackel und bring diese Leute zum Spital am Neuen Tor. Aber pass auf dich auf.«
Der Junge nickte.
Piet griff in den Beutel und warf ihm zwei Silberpfennige zu.
»Wenn wir dort sind, gebe ich dir noch zwei«, versprach er in polnischer Sprache.«
Geschickt fing der Junge sie auf, und ein breites Grinsen lief über das runde Gesicht.
Wladi schritt voran. Ohne die hell lodernde Fackel, die er vor sich her trug, hätten sie den Weg in der mondlosen Nacht tatsächlich nicht erkannt. Sie mussten aufpassen, denn allzu schnell konnten sie auf dem schlüpfrigen und nach Unrat stinkenden Boden ins Rutschen geraten. Cristin genoss, wie der Wind ihre von der stickigen Wirtshausluft erhitzten Wangen kühlte, als der Sohn der Wirtin sie durch enge Gassen und uneinsehbare Hinterhöfe führte. Die Bewohner schienen schon zur Ruhe gegangen zu sein, nur hier und da drangen leise Geräusche zu ihnen herüber. Janek hielt ihre Hand fest umklammert. Die Sorge um den Jungen ließ sie nicht los. Seit sie ihn gefunden hatten, war kaum ein Wort über seine Lippen gekommen. Das Entsetzen über die Gräueltaten der Deutschritter hält seinen Mund verschlossen, grübelte sie. Dabei war sie sicher, dass es Janek helfen würde, über die Ereignisse zu reden. Irgendwann. Das Fauchen einer Katze und das kurz darauf ertönende Winseln eines Hundes rissen sie aus ihren Gedanken. Lump bellte und zog den Schwanz ein.
Wladi wies auf eine Gasse zu ihrer Rechten und murmelte etwas. Kurz darauf hob der Sohn der Wirtin die Fackel und beleuchtete das Eingangstor in der hohen Steinmauer vor ihnen, in deren Mitte sich eine kleinere Türöffnung befand. Der Junge hielt die andere Hand auf, und Piet ließ zwei Pfennige hineinfallen. Wladi starrte auf die Münzen in seiner Hand, drehte sich auf dem Absatz um, und schon verschluckte ihn die Dunkelheit. Nur das Feuer, das er bei sich trug, war noch zu sehen. Baldo trat vor, zog an einem Strick und läutete damit die Glocke an der Spitalpforte. Sie warteten. Nichts geschah.
»Hoffentlich hört uns jemand«, meinte Piet.
Erneut läutete Baldo die Glocke.
Endlich schabte ein Riegel, und das Holztürchen wurde geöffnet. »Was wollt Ihr?«, fragte eine Stimme.
»Wir brauchen ein Bett für die Nacht«, erklärte Piet. »Uns wurde gesagt, das würden wir hier finden.«
Der Schein eines brennenden Kienspans beleuchtete ein bärtiges, von vielen Falten durchzogenes Gesicht. Ein schmaler Haarkranz schmückte den sonst kahl geschorenen Schädel. Der Mann musterte sie argwöhnisch. »Könnt Ihr bezahlen?«
»Sehen wir etwa aus wie Bettler? Wir wollen schließlich nichts geschenkt!« Piet hob den Beutel und ließ die Münzen darin klingeln.
»Dann tretet ein.« Der Alte wies auf Lump.
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