Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
wieder der Kogge der Vitalienbrüder näherte. Sie dachte an Kapitän Gottfried und die anderen Gefangenen an Bord des Piratenschiffes. Hoffentlich wurden sie gut behandelt, und die Lübecker bezahlten das verlangte Lösegeld. Dann straffte sie die Schultern und drehte sich zu Baldo um, der sich gerade mit den beiden Polinnen unterhielt.
»Lass uns aufbrechen«, sagte sie mit fester Stimme. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Baldo nickte grimmig. »Ich weiß. Schau! Ich glaube, dahinten liegt eine Ortschaft. Dort können wir fragen, wo wir uns befinden und in welche Richtung wir gehen müssen.«
Gefolgt von Lump schritten die vier auf das Dorf zu. Vor einer kleinen Kirche trafen sie auf den Priester, der gerade die Tür abschloss. Er erzählte ihnen, sie seien in Niendorf.
»Nach Lübeck wollt ihr? Das ist eine gute Tagesreise«, erklärte er und zeigte in die Ferne. »Dort verläuft die Hansische Ostseestraße. Aber seid vorsichtig. Ich habe gerade erst von Wegelagerern gehört, die sich in der Nähe aufhalten sollen.« Seine Stimme nahm einen verschwörerischen Ton an. »Ich habe kürzlich von einem Schweden einen Beutel mit Haaren vom Schweif des Pferdes erworben, das der heilige Ansgar auf seinen Reisen benutzte, und ein paar davon könnte ich euch verkaufen. Sie schützen euch während eurer Weiterreise. Seid ihr mit sieben Witten einverstanden?«
Baldo setzte zu einer scharfen Antwort an. Cristin kam ihm zuvor. »Wir danken Euch für das Angebot, aber wir sind bisher auch ohne die Hilfe der Heiligen ausgekommen«, erklärte sie.
Der Priester zuckte die Achseln. »Wenn Ihr meint.«
»Hat der Kerl wirklich geglaubt, dass wir ihm auf den Leim gehen?«, fragte Baldo, als sie außer Hörweite waren.
Cristin hob die Schultern. »Sicher ist er selbst um ein hübsches Sümmchen betrogen worden.«
Nachdem sie eine Zeit lang unterwegs gewesen waren, hörte Cristin hinter sich das Klappern von Pferdehufen. Erfreut schaute sie sich um und sah einen Wagen auf dem holprigen Pflaster heranrumpeln. Als er näher kam, erkannte sie auf dem Kutschbock einen jungen Mann und eine Frau in einfacher Kleidung. Dann war der Wagen neben ihnen. Auf der Ladefläche standen jede Menge Körbe und Käfige, aus denen munteres Hühnergegacker zu ihnen herüberdrang.
Cristin trat rasch vor. »Könnt ihr uns mitnehmen?«, rief sie, um sich trotz des Lärms Gehör zu verschaffen. »Wir wollen nach Lübeck.«
Der junge Mann zügelte die Pferde und brachte den Wagen zum Stehen. Ein Blick aus freundlichen Augen traf Cristin und schweifte dann zu den beiden anderen Frauen. Schließlich ruhten seine Augen auf Baldo, der Lump festhielt und beruhigend auf ihn einredete. Ganz offensichtlich machten die beiden Pferde dem Hund Angst.
Der Bauer nickte.
»Wenn ihr da hinten noch Platz findet, springt auf. Ich fahre allerdings nur bis Dassow, aber von da aus ist es ja nicht mehr weit. Wenn ihr nicht trödelt, seid ihr am Nachmittag in Lübeck.«
Sie bedankte sich, während die Polinnen bereits den Wagen erklommen. Baldo folgte ihnen und setzte seinen Hund auf der Ladefläche ab, dann beugte er sich herunter und reichte Cristin die Hand, um ihr aufzuhelfen. Der Bauer schnalzte mit der Zunge und lockerte die Zügel. Während die Pferde in einen gemütlichen Trab fielen, ließen sich die vier zwischen den Körben und einem Käfig nieder, aus dem ein Hahn seinen Kopf hinausstreckte.
Gegen Mittag erreichten sie Dassow. Die Stadt war längst nicht so groß wie Lübeck, doch auf dem gepflasterten Marktplatz im Schatten einer roten Backsteinkirche herrschte reger Betrieb. Der Bauer lenkte den Pferdewagen an den Rand des Platzes.
»Da sind wir, nun müsst ihr zu Fuß weiter.«
Baldo und Cristin bedankten sich nochmals und machten sich auf den Weg, aber je näher sie der stolzen Hansestadt kamen, desto zögernder wurden Cristins Schritte. Was erwartete sie in der Stadt, in der sie einmal glücklich gewesen war, bis ihr Leben zum Albtraum wurde? Die Leute würden mit dem Finger auf sie zeigen, sobald man sie erkannte. Schaut her, da kommt die Gattenmörderin! Cristin schlang den Umhang enger um ihren Körper. Könnte sie doch umkehren und alles hinter sich lassen! Baldo und sie brauchten nicht viel, um in Frieden zu leben. Aber da war immer noch Elisabeth, die auf ihre Rückkehr wartete. Sie blieb stehen. Ob sie das Haus mit den hohen Mauern finden würden, das ihr Bruder in seiner Vision gesehen hatte? Oder war er damals in der Kathedrale
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