Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
etwas blass um die Nase. »Wir konnten nichts dagegen tun. Mann vom Kutschbock band uns Tücher um den Mund, anderer fesselte uns hier.« Das Mädchen zeigte auf ihre Hand- und Fußgelenke, die deutliche Fesselspuren trugen.
»Paulina und ich waren immer vorsichtig, Ernte war dieses Jahr schlecht«, beeilte sich Karolina zu ergänzen. »Unsere Familien sind arm. Versteht Ihr?« Die Lippen des Mädchens bebten, während es erzählte.
Cristin drückte ihre Hand, denn die junge Frau tat ihr leid. Sie hatte schon bei Hofe von der mageren Ernte der Gemüsebauern gehört. Im letzten Winter haben gewiss viele Menschen gehungert, dachte sie und gab sich Mühe, ihrer Stimme Zuversicht zu verleihen. »Schon gut. Erzählt mir alles, was passiert ist.«
»Die Männer haben uns… über die Schulter geworfen. So!«, Karolina beschrieb es mit den Händen. »Wie einen Sack, ehrlich.«
Paulina biss sich auf die Zunge, und in ihrem Gesicht spiegelte sich das Grauen des Erlebnisses wider. »Sie uns auf Wagen gehoben. Wir nicht konnten schreien.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Es waren viele Menschen in der Nähe des Marktes, aber niemand etwas bemerkt.« Karolinas Blick schweifte ab. »Unsere Familien machen sich bestimmt schon Sorgen.«
Cristin hörte aufmerksam zu. Der Wagen hatte sich rumpelnd über das Kopfsteinpflaster in Bewegung gesetzt, und der Mann auf dem Kutschbock, es war Hans Willberg, brachte sie an Bord eines Schiffes, das sich schon kurze Zeit später auf dem offenen Meer befand.
»Der Mann, der euch auf dem Marktplatz angesprochen hat, wie sah der aus?«, wollte Cristin wissen. Vor ihrem geistigen Auge tauchte das Bild eines Mannes auf. Wenn ihr Verdacht sich bestätigte, hätten sie endlich einen Anhaltspunkt und kämen der Wahrheit, die Baldo, Piet und sie so verzweifelt suchten, einen Schritt näher. »Hatte er vielleicht ein großes Blutmal hier oben?« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.
Paulina nickte eifrig.
Also war es Lüttke gewesen. Ein Zittern überlief Cristins Körper, als ihr bewusst wurde, wie wichtig diese Erkenntnis für Baldos und ihre Zukunft werden konnte. Mein Gott. Sie hatten erst von Piraten überfallen werden müssen, um zwei Menschen zu treffen, die ihnen helfen konnten, Lüttke und die anderen Männer ihrer Strafe zuzuführen! Das konnte kein Zufall, sondern musste göttliche Fügung sein! Außerdem konnte sie möglicherweise der armen Kairas, die in der Lübecker Schänke eingesperrt gewesen war, eine Aussage vor Gericht ersparen …
Sie verschränkte die Hände ineinander, damit die Mädchen ihre Erregung nicht bemerkten. »Ihr müsst mir jetzt genau zuhören, ja?«
Die Mädchen sahen einander an. »Wir hören zu. Sprecht«, erwiderte Paulina.
Cristin dachte fieberhaft nach. Irgendwie musste es ihr gelingen, die Mädchen von ihrem Vorhaben zu überzeugen. »Ihr wollt doch gewiss, dass die Männer ihre gerechte Strafe für das Verbrechen an euch erhalten, nicht wahr?«
Paulina schluchzte leise auf. »Wir sind nicht klug. Was können wir schon tun?«
Karolina hatte sich abgewandt und spielte mit einer ihrer Haarsträhnen.
»Habt ihr Mut?«
Die Mädchen erstarrten in der Bewegung.
»Wenn ihr mutig seid, könntet ihr mir helfen. Ich brauche euch, damit diese Männer hinter Schloss und Riegel kommen.« Cristin machte eine bedeutungsvolle Pause und beobachtete, wie es in den Mienen der beiden arbeitete. »Andere Mädchen nach euch könnte dasselbe Schicksal ereilen. Das wollt ihr bestimmt nicht, oder?«
Nachdem die Polinnen nicht antworteten, begann Cristin erneut: »Angenommen, ihr würdet die Männer sehen und erkennen. Würdet ihr bezeugen, was sie mit euch getan haben?«
»Niemand uns wird glauben«, presste Karolina hervor.
Cristin senkte ihre Stimme. »Doch! Wenn ihr sie im Gericht sehen würdet und ihr alles erzählt, so wie mir, dann werden sie euch glauben.«
Paulina schniefte geräuschvoll und wischte sich über die Wange. »Wir kennen doch nur den Mann, den mit Fleck auf der Stirn. Und den vom Schiff.«
Nur mit Mühe konnte Cristin einen Fluch unterdrücken. Paulina hatte recht. »Ja, ich weiß.« Die Momente kamen ihr wie eine Ewigkeit vor, aber sie wollte Karolina und Paulina nicht bedrängen.
»Gut«, riss Paulina sie aus ihren Überlegungen. »Wenn wir den Mann sehen, wir erzählen die ganze Wahrheit.«
»Gott segne euch«, entfuhr es Cristin, und sie nahm die Mädchen in die Arme.
Die beiden konnten ja nicht ahnen, was das für ihr
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