Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
nur einem Wunschtraum erlegen? Hinter sich hörte sie eins der Mädchen weinen. Sie hätte die beiden gern getröstet, ihnen gesagt, dass alles gut werden würde, aber das konnte sie nicht. Cristin tastete nach Baldos Hand.
Er zwinkerte ihr zu. »Siehst du die Türme da in der Ferne? Wir sind bald da.« Wie immer verstand es Baldo, seine Gefühle vor ihr zu verbergen.
»Fürchtest du dich denn gar nicht, Lieber?«, fragte sie.
Um seinen Mund breitete sich ein bitterer Zug aus. »Doch, auch ich habe Angst. Trotzdem gibt es keine andere Möglichkeit. Wir müssen die Wahrheit herausfinden, außerdem können wir nicht ewig auf der Flucht sein.« Sie wollte ihn unterbrechen, aber er blickte ihr ernst in die Augen. »Ich möchte ein Zuhause, Liebes. Ein Heim, in dem wir sicher leben können. Ich möchte morgens an deiner Seite aufwachen. Elisabeth soll einen Vater haben, verstehst du?«
Cristin nickte gerührt. Wenn dieser Tag nur schon angebrochen wäre, dachte sie.
24
I n der Beckergrove blieb Cristin vor dem mit Schnitzereien verzierten Eingang eines roten Backsteinhauses stehen.
»Hier ist es«, erklärte sie, und als Baldo fragend die Brauen hob, fügte sie hinzu: »Ich war einmal mit unserem Gesellen hier, etwas abholen.«
Der warme Schein zweier Wachskerzen, der durch ein Fenster im Erdgeschoss fiel, verriet Wohlstand. Der Salzhändler schien daheim zu sein. Einige Herzschläge lang sagte niemand ein Wort, nur das leise Gurren von Ringeltauben, die über ihnen zwischen den gestaffelten Giebeln hockten, war zu hören.
Baldo straffte die Schultern, band Lump an einem Pfosten an und wandte sich den beiden Polinnen zu. »Seid ihr bereit?«
Paulina und Karolina waren bleich um die Nase, das erkannte Cristin trotz der Dämmerung. In ihren dünnen, etwas fadenscheinigen Umhängen froren sie gewiss erbärmlich.
Aufmunternd lächelte sie ihnen zu. »Es muss sein. Ihr wollt doch auch, dass der Mann seine gerechte Strafe bekommt.«
Baldo griff nach dem eisernen Türklopfer und schlug zweimal gegen das Holz.
Kurz darauf wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet, und ein rundes, von einem Gebände umrahmtes Frauengesicht lugte hervor. Das zu einem dicken Zopf geflochtene Haar war von einem Netz bedeckt.
»Gott zum Gruße.« Baldo trat einen Schritt vor. »Ist Hilmar Lüttke zu Hause?«
»Was wollt Ihr?« Die Frau kniff die Augen zusammen und betrachtete einen nach dem anderen.
»Das sagen wir ihm schon selbst.«
Sie wollte die Tür ins Schloss ziehen, doch Baldo schob blitzschnell den Fuß dazwischen. »Nun lasst uns schon herein. Es ist wichtig«, knurrte er. »Seid Ihr sein Weib?«
Die Frau zuckte unter Baldos unfreundlichem Tonfall zusammen, nickte aber.
»Ja, das bin ich. Er ist allerdings nicht zu Hause. Er sucht das Zwiegespräch mit dem Allmächtigen und betet.«
Cristin warf Baldo einen vielsagenden Blick zu. »Wo?«
»St. Jakobi. Er wird sicher bald heimkehren. Wollt Ihr hier warten?«
Baldo winkte ab. »Danke, nein. Wir werden ihn schon finden.«
»Wie Ihr meint.« Ein weiterer misstrauischer Blick, dann schloss sich die Tür hinter ihnen.
»Was nun?«, flüsterte Cristin.
»Ich werde dem ehrenwerten Herrn einen Besuch abstatten. « Baldos Züge wurden ernst. »Und ihr drei … ihr werdet euch verstecken. Und nehmt Lump mit. Ihr müsst aber darauf achten, dass er nicht anschlägt und uns verrät.«
»Oh nein, das kommt nicht in Frage! Zu lange habe ich auf den Zeitpunkt …«
Er schnitt ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung das Wort ab. »Nein!« Sanft strich er Cristin über die Wange und senkte die Stimme. »Verstehst du denn nicht? Dies hier ist gefährlich. Ich … ich möchte nichts riskieren, hörst du?«
»Aber«, meldete sich Karolina zu Wort, die neben ihm stand und stumm gelauscht hatte. »Wie … wie wir sollen wissen, ob er ist der Mann …«
»Ich werde euch ein Zeichen geben, solange haltet ihr euch versteckt.« Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass niemand ihn würde umstimmen können.
Cristin seufzte und schaute sich um. Lichter standen in den Fenstern und beleuchteten schwach die im Dämmerlicht liegende Straße. Ein Pferdefuhrwerk rollte mit ratternden Rädern an ihnen vorüber und bog in die Böttcherstrate ein. Dann kehrte Stille ein. Wortlos schlugen sie den Weg zu der unweit gelegenen Jakobikirche ein, die den Seefahrern und Fischern geweiht war. Kaum hatten sie die großzügig angelegte Verkehrsstraße verlassen, hüllte sie die Dunkelheit ein. Cristin
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