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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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mehr!«, versprach sie.
     
    Eine Weile später stand der Scharfricher auf dem Marktplatz. Eigentlich hatte er erwartet, den Jungen hier zu finden, trieb er sich doch meistens zwischen den Buden und Ständen herum. Fehlanzeige. Nun gut, gewiss war er inzwischen zu Hause. Als Emmerik gerade an einem Tisch um einen Laib Brot anstand, vernahm er plötzlich eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Er sah in die hellen Augen von Jakob Spieß, in dessen Hafenschänke er ab und zu auf ein Wacholderbier einkehrte.
    »Hast du es schon gehört?« Der Schankwirt roch wie immer nach Bier. Emmerik vermutete, dass Spieß selbst sein bester Kunde war.
    »Gehört?« Er runzelte die Stirn. »Was meinst du?«
    »Die Sache mit der Hexe. Mit dieser Mörderin. Davon red ich.«
    »Das Weib, das ich gestern begraben habe? Was ist mit der?«
    »Verschwunden ist sie. Ihr Grab ist leer. Der alte Klas hat es gesehen, als er heute früh auf dem Friedhof war. Die Hexe ist geflohen. Weg. Wie in Luft aufgelöst hat sie sich.« Der Schankwirt beugte sich vor. »Vielleicht hat der Leibhaftige sie befreit«, flüsterte er.
    Emmerik schüttelte den Kopf. »Quatsch kein dummes Zeug, Spieß. Der Teufel holt sich keine toten Weiber. Du hast zu viel Bier getrunken.«
    »Jedenfalls ist die Hexe verschwunden, heißt es. Das Loch ist leer, in das ihr sie gesteckt habt, du und dein Sohn! Verschwunden wie ein Geist …«
    Verschwunden? Wie war das möglich? Er hatte mit eigenen Händen dafür gesorgt, dass dieses gefährliche Weib niemandem mehr schaden konnte. Alles war ordnungsgemäß verlaufen. Unter Zeugen hatte er sie begraben und zugeschaufelt. Wenn es auch schade um das hübsche Frauenzimmer war, dachte er. Dieses Weib muss jemanden verhext haben. Ja, so wird es gewesen sein. Einen Komplizen, der sie ausgegraben hat. Heißer Zorn wallte in ihm auf.
    »Ach, halt die Klappe«, zischte er dem Wirt zu und kämpfte sich den Weg durch die Menge frei.
    Dieses Miststück brachte auch noch seinen Ruf als erbarmungsloser Scharfrichter in Gefahr! Ein ungeheurer Verdacht stieg in ihm auf. Er blieb ruckartig stehen. Die Frau war verschwunden, genau wie sein Sohn. Sollte Baldo etwas mit dieser Sache zu tun haben? Hatte er der Verurteilten aus einem unerfindlichen Grund zur Flucht verholfen? Nein, das würde der Junge nicht wagen. Obwohl, war er nicht in letzter Zeit öfter aufmüpfig gewesen? Wie oft hatte er ihn mit Lederriemen daran erinnern müssen, seinem Vater gegenüber gehorsam zu sein. Der Gedanke war verrückt, doch je länger er darüber nachsann, umso mehr verfestigte er sich. Baldo hatte die Nacht nicht zu Hause verbracht, und seine Behauptung, zu der rothaarigen Hübschlerin zu gehen, war eine Lüge gewesen. Der Henker zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen.
     
    Baldo öffnete träge die Augen. Durch die schmalen Luken der Wände aus dünnen Holzstämmen fiel erstes Morgenlicht in die Hütte. Er lauschte auf Cristins tiefen Atem und betrachtete ihre im Schlaf entspannten Züge.
    Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und die Wangen waren eingefallen, sodass die Backenknochen scharf hervortraten, nur ihre Brüste waren prall. Er wandte den Blick ab. Wie lange mochte sie schon nichts mehr gegessen haben? Vorsichtig erhob er sich, um sie nicht zu wecken, griff nach dem Wassersack und schlich zur Tür. Als er sie öffnete, hob der Hund den Kopf und musterte ihn aufmerksam. »Komm mit«, flüsterte Baldo.
    Draußen streckte er die langen Glieder und atmete die frische Waldluft tief ein. Sie muss wieder zu Kräften kommen, dachte er, auch er verspürte Hunger. Er vergewisserte sich, dass sein Messer noch am Gürtel hing, und ging in den Wald hinein. Die Bäume trugen frisches Grün, und auf dem Waldboden begann sich ein weißer und blauer Blütenteppich auszubreiten. Schon nach kurzer Zeit wurde er fündig. Etwa zwanzig, fünfundzwanzig Klafter von der Lichtung entfernt, auf der die Köhlerhütte stand, wuchsen wilde Erdbeeren, die er pflückte und in seinem Beutel verstaute, ebenso ein gutes Dutzend dunkelbrauner Pilze. Vielleicht wusste Cristin, ob sie essbar waren. Irgendwo in der Ferne hörte er Wasser rauschen. Er folgte dem Geräusch und kam an einen Bach, der sich zwischen Gras und jungen Farnpflanzen dahinschlängelte.
    Der Regen der letzten Tage hatte ihn gut gefüllt. Baldo hockte sich an den Rand. Die Moosbüschel auf dem Grund bewegten sich sanft im Strom des fließenden Wassers. Darüber konnte er kleine, dunkle Fische, kaum größer als sein

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