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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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zusammengeschlagen, und dabei hatte sie ein Auge verloren.
    Oder wie Baldo und ich, durchfuhr es Cristin. In ihr regte sich ein Funken Neid auf den jungen Mann, der eine unbeschwerte Natur zu haben schien. Das Schicksal hatte ihm bisher wohl größeres Leid erspart. Ihre Gedanken wanderten zu der Goldspinnerei zurück, zu den Momenten, in denen sie einträchtig und voller Freude mit ihren Lohnarbeitern an den Gewändern und Altardecken gearbeitet hatte. Zu den Gefühlen des Glücks, die sie immer wieder empfand, wenn unter ihren eigenen Händen kleine Kunstwerke aus Samt- oder Leinenstoffen entstanden. Sie wendete sich ab, verließ die Menschenansammlung mit ihrem fröhlichen Gelächter und ging in ihr Zelt zurück. Müde sank sie auf einen der Schemel und bedeckte das Gesicht mit ihren Händen. Wir werden es nicht schaffen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie unser Versteckspiel entdecken. Sie hörte, wie der Hund hereinkam, spürte gleich darauf Lumps Pfote auf dem Schoß. Cristin hob den Kopf und streichelte ihn, doch ihre Gedanken schweiften ab. Wo sollen wir bloß hin? Wie soll ich den Mörder von Lukas finden, wenn die Häscher Lübecks nur darauf warten, mich endlich hinrichten zu können? Ich kenne nicht einmal ihre Gesichter, wie also sollen wir entkommen? Ihr Kopf schmerzte vom Grübeln, als ein Geräusch sie hochschrecken ließ.
    Baldo und der Narr steckten ihre Köpfe durch den Zelteingang. »Schöne Seherin, darf ich eintreten?«, fragte Victorius.
    Als sie widerstrebend nickte, duckte sich der hochgewachsene Narr und trat mit ihrem Begleiter ein.
    »Geht es dir nicht gut?« Baldo kniete sich vor sie hin.
    »Es geht schon, Adam. Mein Kopf schmerzt, das ist alles.«
    Sie fühlte den forschenden Blick des Narren auf sich gerichtet. Diese Augen! Die Art, wie er sie von Kopf bis Fuß musterte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Was hatte dieser Mann nur an sich, das ihr das Gefühl gab, er hielte ihre Hand noch immer? Für einen kurzen Moment sehnte sie sich danach, allein zu sein, um all das hinter sich zu lassen. Das Schicksal hatte es nun mal so gewollt, dass sie hier in dieser verdammten Stadt saß, verkleidet bis zur Unkenntlichkeit, um den Mörder ihres Mannes und ihre Tochter zu finden. Ein Teil von ihr wollte sich abwenden und das Zelt verlassen, um Victorius’ beunruhigender Nähe zu entgehen, doch etwas hielt sie an dem Schemel fest und zwang sie, in die blauen Augen des Narren zu schauen. Auch er rang sichtlich um Fassung. Ruckartig wollte sie sich erheben, da machte Victorius eine abwehrende Geste.
    »Bitte«, sprach er mit rauer Stimme. »Warte einen Moment, ich muss unbedingt mit euch reden.« Victorius sah sich nach Baldo um. »Allein.«
    Baldos gekräuselte Stirn verriet seinen Unmut. »Was hat das zu bedeuten, Narr?« Er legte den Arm um Cristin.
    Victorius’ ernste Miene stand im heftigen Gegensatz zu der fröhlich wirkenden Narrenmaske. Er seufzte. »Vertraut mir. Ich treffe euch nach Sonnenuntergang am Hüxterdamm, drüben bei der Brauerwasserkunst.« Der Narr machte eine tiefe Verbeugung und verließ ohne ein weiteres Wort das Zelt.
    Baldo und Cristin blickten ihm verdutzt hinterher.
    »Welch seltsamer Geselle«, entfuhr es ihr, während sie sich leicht an Baldo lehnte.
    »Allerdings. Was kann er von uns wollen?« Seine Augen nahmen einen lauernden Ausdruck an. »Oder anders gesagt: Was will der Kerl von dir? Es scheint ihm ja um dich zu gehen – schöne Seherin «, äffte er die Stimme des Narren nach.
    »Ich kenne ihn nicht, falls du das meinst.« Wieder einmal verfluchte Cristin ihre Eigenart, ständig zu erröten. »Aber wir werden hingehen und es erfahren, oder?«
    Baldo kratzte sich den Bart. »Worauf du wetten kannst. Er ist mir nicht geheuer, dieser … dieser komische Vogel.« Er packte sie an den Oberarmen, seine Stimme wurde eindringlich. »Wir sollten vorsichtig sein, solange wir nicht wissen, wer sich hinter seiner Maske verbirgt!«

17
     
    D er Wind blies ihnen scharf ins Gesicht, während Baldo einen Stein nach dem anderen ins Wasser warf. Er wirkte angespannt, fand Cristin, doch ihre Stimmung war nicht viel besser. Sie war müde und fror, und der Geruch des brackigen Flusses, den man hier für die Bierbrauer aufgestaut hatte, verursachte ihr Übelkeit. Direkt vor ihr huschte etwas durch das Gras und verschwand mit einem leisen Platschen im trüben Nass. Den Umhang enger um den Körper geschlungen, starrte sie in die Dunkelheit, die voller Geräusche

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