Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
in
leises Gelächter aus. »Nein«, sprach der Krieger dann,
»aber ich glaube, jeder erlebt Zeiten, in denen er sich
nach der Einfachheit und dem Frieden der Jugend zurücksehnt. Ich habe eigentlich in meinem Leben mehr
gewonnen als verloren … Und Ihr?«
Sie ließ sich eine ganze Weile Zeit mit ihrer Antwort:
»Wir beide haben viel lernen müssen und einiges erreicht. Und Ihr habt mir mehr Freude beschert, als Ihr
vermuten könnt.«
Ihr Tonfall befremdete ihn, und er nahm ihr Gesicht in
seine Hände. »Was wollt Ihr mir damit sagen?«
»Axis …« Sie starrte ihn eigentümlich flehend an, »…
wenn mir … irgend etwas zustoßen sollte, dann … dann
versprecht mir, Euch zuerst zum Heiligen Hain zu begeben, bevor Ihr zu Aschure zurückkehrt.«
»Faraday!« Er konnte nicht fassen, wieviel blanker
Schmerz in ihrem Blick stand. »Nichts wird Euch zustoßen …«
»Fangt nicht schon wieder an, mich zu belügen!« unterbrach sie ihn brüsk. »Wir beide begeben uns jetzt in
Gefahren, wie wir sie nie zuvor erlebt haben. Deswegen
laßt Euch nicht einfallen, mich noch einmal zu belügen!«
»Faraday, ich werde Euch beschützen …«
»Versprecht es mir!«
»Ich schwöre es Euch. Wenn Euch etwas zustoßen
sollte, kehre ich nicht gleich zu Aschure zurück, sondern
begebe mich zuerst in den Heiligen Hain.«
Die Edle seufzte und lehnte sich voller Erleichterung
an ihn. »Vielen Dank, Axis.«
Ein neuer Gedanke kam ihm, und er richtete sich halb
auf. »Besucht Ihr jeden Morgen und Abend den Heiligen
Hain?«
»Ja, Axis, aber fragt mich bitte nicht nach meinen
Gründen.«
Er nickte, und nun war es an ihm, sie zu halten und zu
wiegen. »Was werdet Ihr anfangen, Faraday, sobald die
Prophezeiung sich erfüllt hat? Sobald sie Euch freigibt
und Eure Tage Euch wieder ganz allein gehören?«
Ihre Stimme klang unbeteiligt, als sie antwortete: »Ich
glaube, die Prophezeiung wird mich niemals freigeben.
Bis in alle Ewigkeit nicht.«
»Aber, Faraday …« Er strich ihr über das Gesicht und
wischte dabei eine Träne von ihrer Wange.
Die Edle zitterte eine Weile, dann richtete sie sich auf.
Einen langen Moment sah sie Axis an, ehe sie ihn küßte.
Es war ein Kuß, den sie ausdehnte, so lange sie nur konnte. Ein Kuß, der die Vergangenheit und die Zukunft besiegelte.
Dann zog die Edle sich von ihm zurück. »Nein, Axis,
wir können Freunde werden, aber nicht mehr. Nicht
mehr. Ihr würdet ja doch nur mich und Euch selbst belügen, wenn Ihr versuchtet, mir mehr zu sein. Axis, ich
wünsche Euch alles Gute.«
Er spürte, daß sie ihn jetzt verlassen würde. »Und ich
Euch auch«, entgegnete er leise. »Niemals habe ich mir
für Euch etwas anderes gewünscht.«
Die Edle nickte, denn sie wußte, daß er die Wahrheit
gesagt hatte. Dann erhob sie sich und kehrte um das Feuer herum zu ihrer Schlafstelle zurück.
In dieser Nacht fand keiner von beiden viel Zeit zum
schlafen.
Er beobachtete sie den ganzen Tag und auch die folgende
Nacht hindurch. Er sah, daß Axis Faraday unter den
Sternen in den Armen hielt, daß sie sich nahe kamen und
sich küßten. Gorgrael frohlockte zum ersten Mal seit vielen Monaten.
»Vortrefflich!« flüsterte er. »Mein Bruder liebt sie also doch. Ja, ja und dreimal ja! Die Prophezeiung führt
mir seine Herzallerliebste zu!«
Noch weiter fort in dem viel finsteren Hort seines Daseins lächelte auch der Dunkle. »Gutes Mädchen«, lobte
er. »Braves, tapferes Mädchen.«
Nach vier Tagen eisiger Ödnis fingen die Awaren an zu
sterben.
Nicht so sehr die Kälte brachte sie um – denn Axis
schuf mit seinen Zauberkräften Wärmehüllen um sie und
versorgte sie nachts mit Feuer –, sondern vielmehr das
Heimweh. Oder wie sie es nannten, das Baumweh. Ohne
die Liebe und den Schutz des Waldes gingen die Awaren
zugrunde.
Die ersten beiden starben in der Nacht des vierten Tages; am Feuer eingewickelt in ihre Umhänge.
»Sie haben sich zu weit von Awarinheim entfernt. Ihre
Herzen haben einfach aufgehört zu schlagen«, erklärte
Brode dem Krieger, als er am Morgen bleich und verstört
von den beiden reglosen Bündeln zurückkehrte.
»Bei den Sternen, Mann«, erwiderte Axis rauh, »dann
nehmt Eure Gefährten, und kehrt um der Sterne willen
mit ihnen sofort in den Wald zurück!«
Aber der Häuptling schüttelte traurig den Kopf. »Nein,
Sternenmann, denn wie solltet Ihr dann Euer Ziel finden?
Nur wir vermögen, Gorgrael aufzuspüren.« Er legte sich
eine Hand an die Brust. »Sein awarisches Blut
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