Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
und genügend Muße haben, die zweifache Mondfinsternis zu erleben.«
Als sie aus dem fensterlosen Raum ins Freie traten, waren die Kolonnaden und Pavillons in ein rosiges Licht getaucht, obwohl die Sonne noch gut eine Stunde am Himmel stehen würde. Dies, erfuhr Alvor, war der auf Satabbor übliche Auftakt zu einem Sonnenuntergang. Er sah zusammen mit Vizaphmal zu, wie die gesamte Landschaft vor ihnen in den rötlichen Schein getaucht wurde, der von Zinnober- über Rubin- bis hin zu einem tiefen Granatrot immer dunkler wurde, ehe Antares schließlich hinter dem Horizont versank. Als das riesige Rund verschwunden war, nahm die Umgebung ein glühendes Amethystblau an. Von der gesunkenen Sonne schossen schillernde Strahlen in allen Schattierungen wie Nordlichter hoch zum Zenit. Gebannt von dem prachtvollen Schauspiel stand Alvor einfach nur da und staunte.
Als er ein ungewohntes Geräusch vernahm, wandte er sich um und sah, dass die Abbar ein eigenartiges Gefährt an die Stufen des Pavillons gebracht hatten, in dem sie standen. Es sah eher aus wie ein Streitwagen, nicht wie eine Kutsche und wurde von drei Tieren gezogen, von denen sich weder die Sagen noch die Heraldik der Menschen je hätten träumen lassen. Die Kreaturen waren schwarz und unbehaart, ihre Körper extrem lang, ein jedes besaß acht Beine und einen gegabelten Schwanz. Mit ihren flachen, boshaften, dreieckigen Schädeln hatten sie alles in allem eine bedenkliche Ähnlichkeit mit Schlangen. Eine Reihe grüner und tiefroter Flechten hing von ihren Kehlen und Bäuchen herab, an den Flanken befanden sich halb durchsichtige Membranhäute, die sie nach Belieben aufrichten konnten.
»Vor sich sehen Sie«, erläuterte Vizaphmal, »das traditionelle Fortbewegungsmittel, das die orthodoxen Zauberer Ulphalors von alters her nutzen. Diese Kreaturen hier nennen wir Orpoden. Sie zählen mit zu den schnellsten unserer Schlangsäuger.«
Damit nahm er mit Alvor in dem Gefährt Platz, und die drei Orpoden, an deren kompliziertem Geschirr sich keinerlei Zügel befanden, setzten sich auf einen Befehl hin auf der gewundenen Straße, die von Vizaphmals Palast zu der darunterliegenden Ebene führte, in Bewegung. Während sie lostrabten, richteten sie die Häute an ihren Flanken auf und erreichten schon bald eine erstaunliche Geschwindigkeit.
Nun sah Alvor zum ersten Mal die drei Monde von Satabbor, die in der dem Abendrot gegenüberliegenden Himmelsrichtung aufgingen. Sie schienen allesamt riesig, besonders der zuinnerst gelegene. Von ihrem rosafarbenen Schein ging eine spürbare Wärme aus, und gemeinsam war ihr Glanz so klar und hell wie irdisches Tageslicht.
Die Gegend, durch die Vizaphmal und der Dichter nun fuhren, war trotz ihrer Nähe zu Sarpoulom unbesiedelt, und sie trafen auf niemanden. Alvor erfuhr, dass die Terrassen, die er beim Erwachen erblickt hatte, keineswegs, wie er zunächst angenommen hatte, das Werk intelligenter Wesen waren. Vielmehr handelte es sich um eine natürlich entstandene Hügelformation. Vizaphmal hatte diesen Ort wegen seiner Abgeschiedenheit und Einsamkeit gewählt, die Lage war ideal für die wissenschaftlichen Experimente, denen er sich verschrieben hatte.
Nachdem sie schon viele Meilen zurückgelegt hatten, kamen sie hin und wieder an einem Haus vorbei und passierten Bauwerke, die Vizaphmals Palast ähnelten. Schließlich wand sich die Straße am Rande bestellter Felder entlang, in denen Alvor die geometrischen Formen wiedererkannte, die er während des Tages von Weitem ausgemacht hatte. Vizaphmal erklärte ihm, dass dort hauptsächlich Wurzelgemüse angebaut wurde, gigantische Trüffeln sowie eine saftige Kaktusart, welche die Hauptnahrungsmittel der Abbar darstellten. Die Alphads hingegen aßen ausschließlich das Fleisch von Tieren und die Früchte wilder, halb tierischer Pflanzen, wie man sie Alvor vorgesetzt hatte.
Gegen Mitternacht standen die drei Monde dicht beieinander und der mittlere verdunkelte allmählich die beiden äußeren. Langsam schob er sich vor seine zwei Gefährten am Firmament und nach dem Verlauf einer Stunde war die Mondfinsternis komplett. Das Licht nahm merklich ab und das Ganze erinnerte nun an eine mondbeschienene irdische Nacht.
»In wenig mehr als zwei Stunden wird der Morgen anbrechen«, erklärte Vizaphmal. »Zu dieser Jahreszeit sind unsere Nächte sehr klar. Noch bevor es so weit ist, wird die Mondfinsternis vorüber sein. Aber wir haben keinen Grund zur Eile.«
Er sagte etwas zu den Orpoden,
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