Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
unglaublich komplizierten Kurs durch Raum und Zeit festzulegen, dem das Gerät folgen sollte.
Sofern die Berechnungen bis auf die letzte Kommastelle stimmen und die Maschine perfekt synchronisiert ist, müsste sie in dem Moment unseres Aufbruchs an ebendem Ort, von dem aus wir damals aufbrachen, landen. Aber natürlich dürfte es an ein Wunder grenzen, wenn sie die Erde überhaupt erreicht. Die Psounas wiesen mich auf einen Stern der Größenklasse neun hin, den sie für die Sonne des Solarsystems halten, in dem ich geboren wurde.
Sollte Dich dieser Brief je erreichen, habe ich keinerlei Anlass, davon auszugehen, dass Du meiner Geschichte Glauben schenken wirst. Dennoch bitte ich Dich, sie zu veröffentlichen, auch wenn alle Welt sie für die Fantastereien eines Wahnsinnigen oder Scherzboldes halten wird. Du weißt, meinem obskuren Sinn für Ironie würde die Gewissheit Freude bereiten, dass all jene die Wahrheit zu hören bekommen, die sie als fantastisches Lügengebäude abtun. Etwas Derartiges ist sicher nicht neu und wahrscheinlich schon oft geschehen.
Wie gesagt, das Leben hier auf Mohaun Los gefällt mir sehr gut. Selbst der Tod ist, habe ich mir sagen lassen, in dieser Welt etwas Angenehmes. Wenn die Psounas alt und müde werden, ziehen sie sich in ein verborgenes Tal zurück, wo sie in den herrlichen Düften berauschender, den ewigen Schlaf herbeiführender Blüten schwelgen.
Aber vielleicht wird mich auch wieder die Sehnsucht nach neuen Planeten und neuen Epochen packen, sodass ich meine Reise durch die Zeitläufe der Zukunft womöglich fortsetze. Selbstverständlich wird Li Wong mich bei einem derartigen Wagnis begleiten, obwohl er im Moment eifrig damit beschäftigt ist, die konfuzianischen Oden und weitere chinesische Klassiker in die Sprache der Bewohner von Mohaun Los zu übersetzen. Die chinesische Lyrik, so darf ich hinzufügen, wird hier weit besser aufgenommen als meine Schilderungen der abendländischen Zivilisation.
Auch Tuoquan, der den Psounas zurzeit beibringt, die furchtbaren Vernichtungswaffen der Welt, aus der er stammt, herzustellen, könnte sich dazu entschließen, mit uns zu kommen. Er steckt voll intellektueller Neugier. Vielleicht werden wir dem großen Kreislauf der Zeit so lange folgen, bis er sich dereinst schließt, bis die zahllosen Jahre und Äonen wieder zu ihrem Anfang zurückkehren und die Vergangenheit der Zukunft folgt!
Viele Grüße, für immer
Dein
DOMITIAN MALGRAFF
Anmerkung des Herausgebers:
Selbst wenn man davon ausgeht, dass Domitian Malgraffs Erzählung der Wahrheit entspricht und sein Brief tatsächlich in einer zukünftigen Welt aufgegeben wurde, bleiben doch einige Unstimmigkeiten, die näherer Erklärung bedürfen. Niemand weiß, wie lange die Apparatur, in welcher der Brief enthalten war, in der Bandasee trieb, ehe sie aus dem Meer gefischt wurde. Um in dem unvorstellbar komplexen Labyrinth von Raum und Zeit überhaupt zur Erde zu gelangen, muss sie wohl kurz nach dem Verschwinden der Zeitmaschine aus Malgraffs Laboratorium ins Meer gestürzt sein. Wäre zeitlich alles perfekt aufeinander abgestimmt gewesen, hätte sie, wie Malgraff in seinem Brief ja selbst andeutet, in ebendem Augenblick in seinem Labor landen müssen, als er mit Li Wong zu seiner Reise aufbrach!
Das Gorgonenhaupt
Doch ist es weniger das Grauen als die Anmut,
die den Betrachter zu Stein erstarren lässt.
–– Shelley
Ich habe keinen Grund zu der Annahme, dass irgendjemand meiner Geschichte Glauben schenken wird. Und wenn ein anderer sie erzählte, würde ich sie vermutlich ebenso wenig glauben wollen. Dennoch erzähle ich sie nun in der Hoffnung, dass der bloße Akt des Erzählens, das in Worte Fassen dieses makaberen Tagtraumabenteuers etwas dazu beiträgt, meinen Geist von der abscheulichen Last zu befreien. Ab und zu hat nur eine Haaresbreite zwischen mir und der brodelnden teuflischen Welt des Wahnsinns Platz gefunden; denn das grässliche Wissen, die schreckensfinsteren Erinnerungen, die ich schon so lange in mir trage, waren nie dafür vorgesehen, von menschlichem Verstand erfasst zu werden.
Zweifellos ist dies ein eigenartiges Geständnis von jemandem, der stets ein Connaisseur des Grauens gewesen ist. Die todbringenden, bösartigen und grauenhaften Dinge, die sich im Gewirr des Daseins verbergen, haben mich stets mit einer Kraft in ihren Bann gezogen, die schon als unheilig bezeichnet werden muss. Ich habe nach ihnen gesucht und sie gemustert wie ein Mensch, der den
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