Die Grabräuber
die Gestalten nicht sofort erkennen. Zudem entbehrte der Vorgang nicht einer gewissen Unheimlichkeit, denn zunächst sah der Inspektor nur das Gräsermeer, und aus ihnen tauchten die Gestalten wie U-Boote aus dem Meer auf.
Suko hatte mit zwei oder drei Soldaten gerechnet. Unwillkürlich hatte er eine Abwehrhaltung angenommen, doch was er nun zu sehen bekam, hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Das waren nicht zwei, drei oder vier. Sondern eine Kompanie. Überall erschienen sie, und sie standen in einer langen Reihe, wobei jeder einzelne Soldat mit einem Bogen bewaffnet war, den er über die Schulter gehängt trug.
Bei diesem Bild stockte Suko der Atem. So etwas hätte er nie für möglich gehalten, und er vernahm auch den Kommentar des in seiner Nähe stehenden Hiatu.
»Das sind die Grabräuber!« hörte er die geflüsterten Worte. Suko nickte nur.
Die Gefahr, die sich ihm da entgegenstellte, konnte er kaum ermessen. Die Wesen waren keine Freunde, im Gegenteil, sie hatten bewiesen, wie gefährlich sie sein konnten, und sie würden keine Rücksicht mehr nehmen. An diesem Ort hielten sie sich verborgen, vielleicht für eine gewisse Zeit, um anschließend zu einem Sturm auf die Stadt Shanghai anzusetzen. Alles war möglich.
Suko hatte die letzten Worte seines Begleiters zwar gehört er war nicht darauf eingegangen, weil er den Anblick einfach überwältigend und angsteinflößend fand. Und er fragte sich, was er und John Sinclair gegen diese kleine Armee ausrichten konnten.
»Habe ich zuviel versprochen?« flüsterte Hiatu. Er setzte noch ein leises Lachen nach.
»Nein, das sicherlich nicht«
»Da siehst du es. Wan ist mit einem Soldaten nach England gefahren«
»Wollte er sie alle holen?« fragte Suko.
»Natürlich nicht. Aber er konnte nicht nur einen Soldaten erwecken, das ist dir doch klar.«
Suko hob die Schultern. Nichts war ihm klar, überhaupt nichts. Er wusste nur, dass sich vor ihm eine Gefahr zusammengeballt hatte, gegen die er etwas unternehmen musste.
»Auf welcher Seite stehst du?« wollte er von Hiatu wissen. Auf eine Antwort wartete er vergeblich.
»He, ich will wissen…« Suko drehte sich zu dem Einheimischen um. Wo Hiatu gestanden hatte, war der Platz leer. Nichts mehr sah Suko von diesem Mann. Aber er hörte hinter sich ein Schleifen und dann ein warnendes Rascheln. Sofort wirbelte der Inspektor herum. Die Gefahr war da, das wusste er und bekam es bestätigt.
Es gab noch einen Soldaten! Und der stand jetzt, nachdem sich Suko umgedreht hatte, genau vor ihm. Mit einem Pfeil auf der gespannten Sehne.
Suko hörte das hohe Singen, dann traf ihn der Schlag in der Körpermitte. Er vernahm das leise Lachen seines Begleiters, bevor er allmählich zu Boden sank. Hiatu tauchte wieder auf. »Das war Nummer eins«, erklärte er und rieb sich die Hände…
***
Plötzlich sah der Agent Quen nicht mehr aus wie ein harmloser Student. Seine Augen blitzten, das Gesicht war rot angelaufen, der Ärger stieg wie eine Welle in ihm hoch.
John Sinclair und Suko waren verschwunden. Einfach entwischt. Und das in einer Stadt wie Shanghai und in einem Land wie China, wo jeder Ausländer unter Kontrolle stand. Auch für die beiden hatte Quen einen Bewacher einstellen lassen.
Der Agent schüttelte den Kopf. Er schaute sich noch einmal in den beiden Räumen um, fand nichts Verdächtiges und auch keine Hinweise, die auf einen zweiten Aufenthaltsort der beiden Männer hingewiesen hätten, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als Verstärkung zu holen. Er bediente sich des Etagentelefons, machte den Mann an der Zentrale flott und bekam die Verbindung, die er haben wollte. Etwa eine halbe Stunde musste er warten und saß dabei wie auf heißen Kohlen. Anschließend waren sie da. Und das gleich in der Stärke von einem Dutzend. Männer mit starren Gesichtern und chinesischer Einheitskleidung. Sie warteten und nahmen die Befehle entgegen.
»Durchsuchen!«
»Alles?«
»Ja. Die gesamte Etage. Ich will wissen, was da geschehen ist. Zudem haben wir von unserem Mann auch noch keine Spur gefunden.«
Die Chinesen schwärmten aus. Es war ihnen egal, ob sie andere Gäste störten. Sie öffneten mit Spezialschlüsseln kurzerhand die Türen der auf dem Gang liegenden Zimmer und schauten in jeden Raum. Es gab Proteste. Darum kümmerten sich die Männer nicht. Schnell und zielsicher setzten sie ihre Durchsuchung fort, aber sie fanden nichts. Weder eine Spur der Ausländer noch eine von ihrem Mann, der als
Weitere Kostenlose Bücher