Die Graefin der Woelfe
Kissen und Decken abgeräumt. Es lagen weder persönliche Gegenstände noch Kleidungsstücke herum. Das Schlimmste war, dass er weder die Zofe noch ihre Herrin entdecken konnte. Angst machte sich breit. War er etwa zu spät gekommen? Voller Ungestüm zog er an der Klingelschnur.
Lucia kam atemlos in die Kammer gestürmt, einen Packen frisch geplätteter Wäsche auf dem Arm. »Um aller Heiligen willen, ist ein Feuer ausgebrochen? Was klingeln Sie so unablässig?«, keuchte sie atemlos.
Erasmus blickte auf die Küchenmagd und dann auf den Stoß Wäsche. »Wo ist sie?«
»Sie meinen die Gräfin?« Ein spöttisches Lächeln legte sich über Lucias Gesicht. Geschäftig begann sie, Amalias Bett zu überziehen.
Erasmus räusperte sich. Dieses freche Ding war ihm schon lange ein Dorn im Auge. »Wo ist die Gräfin?«, donnerte er. »Was habt Ihr mit ihr gemacht?«
Lucia drehte sich um, den Kopf noch immer spöttisch erhoben. »Wenn Sie so brüllen, fürchte ich mich, und wenn ich mich fürchte, kann ich mich an nichts mehr erinnern.« Dabei sah sie ihn herausfordernd an.
Erasmus fühlte eine ungekannte Wut aufkeimen. Er schnellte nach vorn, seine Hände krampften sich, er hob den Arm.
Ein ziehender Schmerz durchzuckte seine rechte Körperhälfte. Der Arm, der eben noch die freche Küchenmagd abstrafen wollte, wurde grob nach hinten gedreht. Gegen seinen Willen drehte er sich um. »Was soll das?« Seine Stimme erstarb, als er in die wutverzerrten Augen Jelkos blickte.
»Ich lasse Ihren Arm jetzt los. Sie werden sie nicht anrühren.« Jelko sprach leise, drohend.
Erasmus nickte stumm. Er fühlte sich gedemütigt, und seine Schulter tat weh. Ganz langsam ließ Jelko seinen Arm los.
»Lucia«, wandte er sich an seine Frau. »Sag dem Herrn Doktor, wo sich die Gräfin befindet.«
Stramm verbeugte er sich vor Erasmus. »Ich warte auf Ihre Befehle, Doktor.«
Lucia straffte die Schultern, ihre Augen blitzten voller Wut, aber sie fasste sich. Gallig begann sie zu erklären. »Seitdem sie fort waren, wurde es der Gräfin von Tag zu Tag wohler. Sie ist mit Marijke nach Wien gefahren, vor zwei Tagen schon. Sie wird dort sicherlich einen guten Arzt aufsuchen.«
Verdammtes Biest, dachte Erasmus und ballte die Fäuste. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um der kleinen Ratte zu zeigen, wer der Herr im Haus war. Seine Hände entspannten sich. »Ich freue mich zu hören, dass es meiner geschätzten Patientin besser geht. Du wirst wohl kaum ermessen können, wie sehr mich das abgeräumte Bett in Unruhe versetzt hat. Mir war der Schreck in alle Glieder gefahren.«
Was wollte die Gräfin in Wien? Es war eine weite und anstrengende Reise. Es musste einen gewichtigen Grund geben, warum sie diese auf sich genommen hatte. Erasmus verschränkte die Hände auf dem Rücken und durchmaß mit weiten Schritten die Kammer. Wien war eine große Stadt, es war kaum möglich, einen Menschen in dem Gewimmel von Straßen und Plätzen im Auge zu behalten. Nachts trieben sich Bettler und lichtscheues Gesindel in den Gassen herum. Menschen, auf die niemand wartete, deren Fehlen keinen beunruhigen würde. War dies der Grund, warum Amalia nach Wien wollte? Wollte sie in der Masse verschwinden? Gab es etwas in der Stadt, das sie so einfach an keinem anderen Ort erhalten konnte?
»Lasse Er anspannen, ich muss so schnell wie möglich nach Wien.«
Jelko deutete eine weitere Verbeugung an. »Lucia, komm mit in die Küche und pack uns etwas zu essen ein.«
*
Noch ehe Marijke die Nachricht an den Architekten verfassen konnte, wurde ihr sein Kommen bereits gemeldet. Sie überprüfte rasch den Sitz ihrer Frisur und eilte hinunter in das Empfangszimmer der Fürsten von Torgelow. Von Hildebrandt stand mit dem Rücken zur Tür. Seine Aufmerksamkeit galt einem Ölgemälde, auf dem die Schlacht am Kahlenberg tobte, und in dessen Hintergrund das Wien des Jahres 1683 zu sehen war. Marijke trat leise hinter ihn. Ohne sich umzudrehen, begann er zu sprechen.
»Viel hat sich seit damals geändert. Sehen Sie.« Er zeigte auf eine Fläche südöstlich der Stadtmauer. »Hier erhebt sich heute das Schloss Belvedere mit seinen wunderbaren Gärten, und genau hier …«, sein Finger bohrte auf eine Stelle inmitten Wiens, »… entsteht die Karlskirche. Es ist schade, dass mein alter Freund und Widersacher nicht mehr miterleben konnte, welch prächtiges Bauwerk sein Sohn nun bald vollenden wird. Aber entschuldigen Sie, meine Teuerste, ich habe Sie noch gar nicht
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