Die Graefin der Woelfe
Lachen Graf Wenzels.
Das Gefühl in seinem Herzen kannte er. Er hatte es ein ganzes Leben lang gefühlt, trotz seiner herausragenden Leistungen.
Es war Ablehnung, Gleichgültigkeit.
Er spürte genau, er gehörte nicht dazu.
Ein helles Klingen ließ ihn aufschrecken. Neugierig drehte er sich zu der Gesellschaft um. Graf Wenzel hatte mit einer silbernen Gabel gegen eines der Kristallgläser geklopft.
Augenblicklich trat Ruhe ein. Alle hingen an Wenzels Lippen, während er lächelnd in die Runde blickte. »Es ist mir eine große Ehre und eine besondere Freude, Ihnen allen einen weiteren Gast anzu…« Weiter kam er nicht mit seiner Ansprache, denn Amalia fiel ihm jubelnd in den Arm.
»Oh Wenzel, du hast meinen Vater eingeladen. Sag schon, dass es wahr ist, der weitere Gast, das ist mein Vater.«
Erasmus blieb der Mund offen stehen angesichts solcher Ungeheuerlichkeit. Dieses Weib hatte allen Ernstes den Nerv, ihren Ehegatten mitten in einer Ansprache zu unterbrechen. Er wartete gespannt auf eine entsprechende Reaktion des Grafen. Die blieb jedoch aus. Stattdessen musste er mit ansehen, wie Graf Wenzel seiner Gattin, offensichtlich hocherfreut ob deren Unverschämtheiten, die Hand küsste. In dem Moment ging die Tür auf.
Der Fürst betrat den Saal.
Erasmus musterte den hohen Herren ungeniert. Er war ein außergewöhnlich hochgewachsener und stattlicher Mann mit aufrechtem Gang und raumgreifenden Gesten. Das geblümte Wams spannte über einem umfangreichen Bauch. Der dunkelrote Justaucorps, den er darüber trug, ließ sich nicht mehr schließen. Seine Beine steckten in weißen Seidenstrümpfen und diese wiederum in zierlichen Stiefeln aus feinstem Leder. Eine gepuderte Perücke in beachtlicher Haarlänge rundete die imposante Gestalt ab.
Der Auftritt strahlte Jugendlichkeit und Kraft aus, doch Erasmus erkannte die Zeichen. Fürst von Torgelow blickte müde und abgespannt, seine Haut wirkte rau und schuppig.
Erasmus’ geschulte Augen entdeckten noch mehr. Unter dem Seidenstrumpf des Fürsten zeichnete sich der Abdruck eines Verbandes ab, der an einer Stelle bereits durchnässt war. Es gab keinen Zweifel. Selbst die anscheinend gesunde Leibesfülle des Fürsten war ein Indiz des Verfalls. Fürst Alexej litt am honigsüßen Durchfluss, dem Diabetes mellitus.
Wie zur Bestätigung seiner Gedanken ergriff der hohe Herr dankend einen Becher Wein aus Krystas Hand und trank ihn in einem Zuge bis zur Neige. Augenblicklich reichte ihm die Hausdame einen weiteren Krug, den der Fürst ebenso schnell leerte wie den vorherigen.
Amalia schien die Veränderung nicht zu bemerken. Sie glaubte wohl immer noch daran, dass der Mann, der vor ihr stand, sie weiterhin vor allem Übel bewahren konnte. Entsprechend kindisch war ihr Verhalten.
»Vater, mein liebster, liebster Vater!«, jubelte sie ein übers andere Mal. »Wie sehr freue ich mich, Euch zu sehen.« Kokett blickte sie zwischen Fürst Alexej und Wenzel hin und her. »Seit wann seid Ihr hier, Vater?«, rief sie, und zu Graf Wenzel gewandt: »Sie haben mich ganz schön an der Nase herumgeführt. Wenn ich das eher gewusst hätte, hätte ich alles für seine Ankunft vorbereitet.«
Während sich diese peinliche Szene vor aller Augen abspielte, blickte Erasmus wartend zur Tür. Auch die Gräfin wandte jetzt den Kopf in diese Richtung. Ihr Blick hing wie erstarrt an dem Tor, doch niemand trat mehr hindurch. Fürst Wenzel trat seiner Tochter ins Blickfeld und schüttelte sanft den Kopf. Offensichtlich war er allein angereist, ohne die Fürstin.
Das Gesicht der jungen Frau überschattete sich.
Das war ungewöhnlich und sicher nicht ohne Belang. Erasmus hätte zu gern den Grund gewusst. Zwischenzeitlich hatte der Graf des Fürsten Arm ergriffen und führte ihn zu von Hildebrandt. Der Architekt versuchte sich umständlich an einer höfischen Verbeugung.
Fürst Alexej winkte ab. »Liebster von Hildebrandt, schön, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen. Wir haben viele gemeinsame Freunde und es ist mir immer eine besondere Freude, Ihre Baukunst zu bewundern. Umso mehr erfüllt es mich mit Stolz, dass Sie für meine Tochter und meinen Schwiegersohn tätig werden.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Allerdings werde ich als Baumeister kaum gefordert. Die Pläne für das Schloss«, von Hildebrandt zeigte vage in die Richtung, in der die Papierrolle mit den Zeichnungen lag, »hat Ihre Tochter angefertigt. Ich bin sozusagen nur ein ausführendes Organ.«
Erasmus
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