Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
Washington verkaufen soll. Vielleicht ja besser an Peking. Aber erst einmal müssen wir hier raus.«
»Wir müssen alle hier raus«, sagte Müller. »Mein lieber Mann, ihr seid wirklich ein feines, weltweit operierendes Familienunternehmen. Könnte ich ein einfaches Schmerzmittel haben?«
Der Alte nickte und verschwand diesmal hinter einem anderen Wandteppich.
Die Teppiche dämpfen und wärmen, dachte Müller. Tatsächlich bin ich hier wohl in einem zentral gelegenen Raum dieser Unterwelt. Er wusste, dass er schnell eine Entscheidung treffen sollte. Er stand vor der Wahl, sich in seiner Gefangenschaft einzurichten oder aber von Beginn an auf eine andere Lösung hinzusteuern. Der Alte war nicht wirklich ein Gegner, er tat nur, was sein Sohn verlangte, und zwar langsam und mit Umsicht. Und da lag die Chance.
»Ich habe hier Paracetamol«, sagte der Alte, als er zurückkam. »Du solltest vielleicht zwei Sechshunderter nehmen, falls dein Magen das mitmacht.«
»Mein Magen ist in Ordnung. Danke.« Müller nahm die zwei Tabletten, warf sie sich in den Mund, griff nach dem Glas mit Orangensaft und schüttete ihn dem Alten ins Gesicht. Es war eine schnelle, elegante Bewegung, und sie traf den Alten völlig überraschend.
Müller bekam ihn zu fassen, hob ihn mühelos hoch, warf ihn auf die Liege, tastete nach der Waffe, fand sie nicht sofort, war für den Bruchteil einer Sekunde irritiert.
Dann kam ein Schuss, nicht einmal sonderlich laut, eher nur ein Plopp .
Müller schrie auf und fasste sich an den linken Oberschenkel, seine Beine knickten ein, und er fiel auf den Alten. Er hatte plötzlich Stoff im Mund, etwas, das ihm die Luft abschnürte, und durch sein linkes Bein jagte ein stechender Schmerz.
»Hör auf damit!«, brüllte der Alte unter ihm.
Müller kam keuchend hoch, hockte jetzt neben dem Alten.
Ein paar Meter entfernt standen zwei junge Männer. Sie trugen Tarnuniformen und Handfeuerwaffen, Heckler & Koch, schwere Kaliber mit Schalldämpfern. Natürlich, sie mussten leise schießen hier unten in dem Keller.
Müller brüllte: »Verdammte noch mal!« Dann verlor er das Bewusstsein.
Svenja hatte es eilig, als sie aus der noblen Karosse stieg.
Sie jagte, so schnell sie konnte, das Treppenhaus hoch, kam atemlos in ihrer Wohnung an. Sie begann eine kleine Reisetasche zu packen. Das, was sie am Leib trug, würde zunächst einmal reichen: einfache graue Jeans, ein dunkelblaues Kapuzenshirt, teure Sportschuhe, ein einfaches weißes Top mit weitem, rundem Kragen, ein langer roter Schal. Sie packte noch zwei Garnituren Unterwäsche ein. Dazu eine dunkle Weste mit unglaublich vielen Taschen, die sie im Einsatz tragen würde. Eine Neun-Millimeter-Glock mit aufgesetztem Laservisier und sechs Magazine Hohlmantelgeschosse. Für diese Waffe nahm sie einen breiten, extrem weichen Ledergürtel mit, den sie unter der Kleidung auf der bloßen Haut tragen würde. Auf die Innenseite ihres linken Oberschenkels klebte sie einen langen Dolch in einer Plastikscheide. Einen Satz Papiere und ausreichend Bargeld verstaute sie im Spezialgürtel ihrer Jeans.
Es erinnerte ein wenig an mystische Kämpferinnen wie Lara Croft, die mutterseelenallein in Videospielen ganze Erdteile retteten, war aber bestimmt von Ereignissen, die Svenja noch gar nicht richtig überblicken konnte. Notfalls musste sie Müller aus einer miesen Situation herausschießen, und da war es gut, ein bisschen besser als Lara Croft zu sein, vor allem realistischer.
Sie hockte sich mit dem Festnetztelefon auf ihr Bett. Es gab zwei Möglichkeiten: Die eine hieß Mona, die zweite Gerrit.
Mona saß in Berlin, war etwa vierzig Jahre alt und hatte die Liste aller Flieger, die in Berlin aus- und einflogen, im Kopf. Und sie hatte eine Möglichkeit, die andere nicht hatten: Sie konnte in dringenden Fällen schon einmal einen Flieger zehn Minuten länger als geplant auf dem Boden halten. Mona war schrill und kleidete sich auch so, war ein mächtiges Weib, trank niemals Alkohol und war in ihrem Element, sobald ein Problem in die kritische Phase geriet. Mona war problemsüchtig.
Von Gerrit hatte Svenja nur eine Mobilnummer, sie wusste nicht, wo er lebte und stationiert war, nicht einmal, welchen Beruf er ausübte, nur dass er schlicht alles wusste, was mit Flugzeugen zu tun hatte. Sie hatte ihn noch nie gesehen, hatte nur einmal mit ihm telefoniert, als es darum ging, ein Flugzeug in Karatschi zu stoppen, das bereits am Start stand.
Svenja holte sich ein Glas Sekt aus dem
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