Die grosse Fahrt der Sable Keech
der Hand gerissen wurde. Sie griff sofort erneut zu und spannte sich an. Ein Tentakel, diesmal einer von eher rundem Querschnitt und mit einer Spitze, die an das Streichmesser eines Töpfers erinnerte, spießte hinter dem Schiff in die Luft, klatschte ins Meer und bespritzte sie mit Gischt.
»Sachte jetzt«, sagte Ambel.
Weitere lange Minuten verstrichen, und als schließlich die Packwurmkorallen hinter ihnen kleiner wurden, atmeten alle an Bord wieder leichter.
»Dieselbe?«, fragte Peck und drückte die Schrotflinte fest an sich.
»Vermutlich«, antwortete Ambel. Der Kapitän musterte das Deck, das voll mit Säcken lag, aus denen Bernsteinmuscheln rutschten. »Am besten entschalen wir sie schnell und legen sie in Essig«, sagte er. Als Süd etwas später eine besonders große Muschel öffnete, einen Freudenschrei ausstieß und eine Perle hochhob, damit alle sie sahen, grunzte Ambel zurückhaltend.
So aufgebläht war die Riesenschnecke inzwischen vor lauter Egelfleisch, dass sie wie ein Ballon aus der Schale quoll, und sie klatschte mit den Tentakeln frustriert an die Kante der Unterwasserfelswand. Hinter ihr stieg der Meeresgrund steil zu den Stränden und Packwurmkorallen an. Sie spürte die ständige Vibration, erzeugt von den langen röhrenförmigen Würmern, die sich auf der Suche nach den benötigten Mineralien durchs Gestein bohrten, und auf einmal wurde sie richtig wütend. Am liebsten hätte sie sich zurückrutschen lassen, um die Würmer auszugraben und in Stücke zu reißen, als wäre es deren Schuld. Trotzdem hielt sie sich weiter an der Felskante fest und verfolgte, wie der Schiffsrumpf über ihr davonglitt. Als er schließlich kaum noch zu erkennen war, richtete die Schnecke ihre tellergroßen Augen in die Tiefe.
Die Klippe fiel Hunderte Meter tief zu einer steinigen Landschaft ab, auf der hier und dort Wälder aus Kelpbäumen wuchsen, wo der Boden von Rebentang überwuchert war und Schwärme von Gleißern umherstreiften. Obwohl die Gleißer der Riesenschnecke im Grunde nichts tun konnten, würden sich ihre ständigen sondierenden Angriffe als sehr lästig erweisen und sie ebenso bremsen wie das eigentliche Gelände. Sie konnte leicht die Witterung verlieren und damit das Schiff.
Die Riesenschnecke wusste, dass ihre Intelligenz als Folge der bisherigen Bemühungen und Anforderungen gestiegen war. Sie spürte die wachsende Schwere dieses Organs im eigenen Innern. Inzwischen waren auch Erinnerungen erwacht, die sie nie zuvor benötigt hatte, und eine davon zeigte ihr, dass sie einst durch die Tiefen geglitten war wie ein Heirodont. Das frustrierte sie noch mehr: zu wissen, dass sie früher mal geschwommen war, statt sich über den Meeresgrund zu schleppen. Sie spannte sich von der Felskante hoch, sehnte sich danach, diese Fähigkeit zurückzuerlangen.
Ihre Eingeweide rumpelten; die Ladung Egelfleisch darin schäumte sauer, und sie machte sich daran zu pumpen. Einen Augenblick später stieg sie auf einem gewaltigen Furz hoch. Mächtige Gasblasen brodelten ringsherum, und sie spürte den Schwall Nährstoffe, die durch ihren Blutwasserstrom liefen. Dann öffnete sich etwas in ihr schmerzhaft und drückte gegen das Schneckenhaus, irgendeine Art Einschließung. Die Schale knisterte, und als die Schnecke ein Auge dorthin wandte, sah sie, wie Flocken aus der tiefen Krustenbildung von der lebendigen Schale abblätterten und herunterfielen. Der Druck stieg an, und erneut hob sie sich, versuchte ihn auszustoßen, aber dies geschah nicht auf dem üblichen Weg. Der Druck fiel, und die Einschließung platzte weiter auf. Die Riesenschnecke behielt die Schale weiter im Auge und sah, wie ungesunde Wolken aus Hunderten wunder kleiner Öffnungen spritzten, die sich darin gebildet hatten. Die Eingeweide rumpelten und schwappten weiter, bis schließlich Gas aus dem Haus hervorsprudelte, wonach sich die Öffnungen schlossen. Die Schnecke bemerkte, dass sie jetzt viel leichter war, erhob sich auf den Tentakeln und hob die fleischige Schürze vom Meeresgrund. Sie breitete sie aus, umfasste damit Kubikmeter Meerwasser und rammte sie wieder zu, pumpte sich dadurch in die Höhe und von der Felskante weg. Sie sank, zuckte aber erneut mit dem Haus, und Tonnen von Krustenbildung sanken in die Tiefe. Die Schale wies jetzt Färbung, Muster und Form wie bei einem Jungtier auf. Die Schnecke umfasste mehr Wasser, wandte sich dem fernen Schiffsrumpf zu und düste los.
Kapitel 10
Landheirodont:
Viele Tausende Arten
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