Die große Flut
Flügelspitze an Flügelspitze.
Nun wandten sich die Nephilim um, standen den Seraphim von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Auch ihre herrlichen Flügel berührten einander.
»Brüder!« rief Alarid. »Ihr seid noch immer unsere Brüder.«
Ugiel kreuzte seine lavendelfarbenen Schwingen mit den silbernen des Alarid. »Nein. Wir haben uns losgesagt von euch und allem, wofür ihr steht. Dieser Planet gehört uns. Seine Völker gehören uns. Wir wissen nicht, warum ihr bleibt.«
Alarid antwortete mit fester Stimme: »Weil wir Brüder sind und sein werden, mögt ihr euch auch noch so laut von uns lossagen.«
Für den Bruchteil eines Augenblicks war Ugiel eher Schlange als Nephil. Yalith unterdrückte einen Schrei. Mahlah stand, klein und zerbrechlich, in der Mitte des Kreises, geborgen allein in ihrem schwarzen Haar.
Auch aus Eblis flackerte in raschem Wechsel die Gestalt der Drachenechse, als er mit Aariel die Flügel kreuzte: »Wir trafen unsere Wahl. Wir haben dem Himmel abgeschworen. «
»Dann wird die Erde nie und nimmer euer sein.« Aariel war wieder der Löwe, und laut brüllend trabte er hinaus in die Wüste, verschwand unter dem Horizont.
Die beiden Kreise lösten sich auf. Das Gewirr der Flügel blendete Yalith, und als sie wieder hinschaute, sah sie nur noch den einen Nephil, den lavendelfarbenen Geflügelten. Zärtlich umfing er Mahlah mit den Armen. Mahlah war um nichts kleiner als die anderen Frauen in der Oase. Dennoch reichte sie Ugiel kaum bis an die Hüfte.
Wie erstarrt saß Yalith auf dem Felsen. Ugiels Flügel hüllten Mahlah zärtlich, schützend ein. Ein Aufblitzen, nicht von Licht, sondern von einer Dunkelheit, die dunkler war als die Nacht – und die Wüste lag leer vor ihren Augen. Mahlah und Ugiel waren verschwunden.
Yalith stieß einen Schrei aus.
»Wovor hast du Angst, Kleines?« fragte eine sanfte Stimme hinter ihr.
Sie wandte sich um. Eblis hatte die purpurnen Schwingen ausgebreitet, so daß sie eins wurden mit dem nächtlichen Himmel.
»Mahlah…« sagte sie. »Ich habe Angst um Mahlah.«
»Aber warum denn, mein Kleinod? Ugiel wird sie beschützen. So, wie ich dich beschützen werde. In der Oase geht allerlei Rede von Mund zu Mund. Schrecknisse stehen bevor. Der Vulkan könnte ausbrechen, der Berg sich spalten, ein ungeheures Erdbeben das Land zerstören.«
Sie nickte. »Ich glaube, das fürchtet auch mein Vater. Aber was können wir dagegen tun? Können wir den Vulkan hindern, Feuer zu speien?«
»Nein. Und ihr könntet ihm auch nicht entrinnen. Aber ich werde dich schützen.«
»Wie?«
»Nephilim haben geheime Kräfte. Komm mit mir, und ich schütze dich.«
»Ich soll mit dir kommen? Wohin?«
»Ich gebe dir ein Haus voll schöner Dinge. Du wirst nie wieder auf rauhen, stinkenden Fellen ruhen. Ich biete dir Speise und Trank, wie du sie nie zuvor gekostet hast. Komm, mein kleines Juwel, komm mit mir!«
»Wann?« Ihr Widerstand brach zusammen.
»Jetzt. Heute nacht.«
Sie sah wieder die beiden Kreise vor sich, den der Seraphim und den der Nephilim. Eblis, nicht Aariel, bot ihr Schutz an. Mit Ugiel, nicht mit Alarid, hatte sich Mahlah vermählt. »Nimmst du auch meine Familie auf? Und meine Zwillinge?« »Nur dich«, sagte Eblis. »Meine Macht hat Grenzen.«
Sie schaute zu den Sternen auf. Schüttelte den Kopf. »Der Zwilling Den braucht mich noch.«
»Liebe ist geduldig«, sagte Eblis. »Ich werde warten. Und ich bin überzeugt, daß du eines Tages zu mir kommst.« Er fuhr ihr mit der Hand übers Haar, und die Berührung war angenehm.
Yalith schloß die Augen, sah den Sand, der sich in Großvater Lamechs Zelt vor ihr verbeugte. Sah den Den, der verzweifelt nach ihrer Hand faßte und im Schmerz auf schrie.
Wieder strich Eblis ihr übers Haar. »Ich werde warten.«
Japheth kam Dennys besuchen, betrachtete prüfend die letzten Narben. »Das sieht schon besser aus.«
»Viel besser.« Dennys lächelte. »Yalith und O-holi- bamah bringen mich jede Nacht ins Freie, und wir hören den Sternen zu.«
»Es ist gut, daß du ihre Sprache verstehst.«
»Wenn ich nicht irre, sagen sie mir immer wieder, ich solle Frieden machen!«
Japheth nickte. »Oholi hat es mir verraten. Frieden zwischen meinem Vater und Großvater. Hast du mit ihm schon einmal über seinen Zwist mit Großvater Lamech gesprochen?«
»Ja, ich habe es versucht. Aber ich fand nicht so recht heraus, worum es dabei geht.«
»Um das Wasser«, sagte Japheth sachlich. »In der Oase wird stets nur um Wasser
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