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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Piers Torday
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Hinterpfoten und lässt sich wieder auf den Boden fallen, wobei ihr Schwanz in einem Takt zuckt, den nur sie allein hört.
    * Der Einen-sprechenden-Menschen-nach–langer-Gefangenschaft-wiedergefunden-Tanz! *, erklärt sie stolz.
    »Ich habe fast vergessen, wie klein sie ist«, sagt Polly und klingt ein bisschen enttäuscht. Wie groß sollte ihrer Meinung nach eine Maus denn sein? Egal, wie klein sie ist oder wie viele alberne Tänze sie aufführt – ich bin froh, dass sie bei uns ist. Ihr Schwanz kräuselt sich enthusiastisch.
    * Wollt ihr beiden den ganzen Abend lang hier rumstehen oder soll ich den Trödelnden-Kindern-Beine-machen-Tanz aufführen? Wir haben es eilig, also mir nach! *
    Die Zwergmaus flitzt Richtung Scheunentor, und wir folgen ihr ins Dunkle, wo sie flink durch ein Labyrinth aus düsteren, endlos langen Gängen huscht, hin zu den Stimmen und der Musik.
    * Wie bist du eigentlich entwischt? *, frage ich sie.
    * So eine geschmeidige Maus wie ich kommt überall hinein und hinaus, das solltest du inzwischen wissen. *
    Sie flitzt unter einer schweren Eisentür hindurch. Polly und ich stoßen sie auf und treten hinaus in eine Gasse zwischen zwei Scheunen. Die Stimmen und das Getrommel werden immer lauter. Polly zupft mich am Ärmel.
    »Sieh mal«, sagt sie. »Das Licht.«
    Welches Licht?, denke ich verwundert. Dann folge ich ihrem ausgestreckten Zeigefinger und sehe es auch. Es ist nicht irgendein Licht. Ganz am Ende der Gasse tanzen lange Schatten an den Scheunenwänden. Und ich weiß jetzt, woher das merkwürdige Geräusch kommt, das ich nicht einordnen konnte.
    Es ist das Prasseln eines Feuers.
    * Ich habe doch gesagt, dass wir keine Zeit zu verlieren haben *, piepst die Maus und rennt weiter.
    Wir lassen die Schatten hinter uns und treten aufs freie Feld hinaus. Es ist, als ob wir aus einem Wald auf eine Lichtung kommen. Diesmal ist es kein riesiger Sumpf, sondern unebenes Grasland, wo überall weggeworfene Teile von verrosteter Farmausrüstung liegen, überwuchert von Unkraut. Und genau in der Mitte der Wiese brennt ein Lagerfeuer ein trichterförmiges Loch in den Boden.
    Ein Lagerfeuer so groß wie Bodger – so groß wie zwei Bodgers –, aus Holzbalken, Traktorreifen, Brettern, verbeulten Ölfässern, aus allem, was wohl gerade zur Hand war, eine Müllpyramide, deren Lohe krachend und fauchend in den Himmel wächst und Funken sprüht.
    Wir bleiben wie gebannt stehen, fasziniert von den Flammen, und die Maus zuckt aufgeregt mit dem Schwanz. Vor uns hat sich eine große Menschenmenge versammelt, Leute scharen sich um das Feuer und bilden ein wogendes Meer aus Rücken und Köpfen. In den vorderen Reihen kann ich im Schein des Feuers Gesichter erkennen, zum Beispiel die alte Frau, die die Maus in der Hand gehalten hat, aber von Mutter und Bodger ist nichts zu sehen. Es sind bestimmt hundert Menschen, wenn nicht mehr. Ich sehe ausgemergelte, hungrige Gesichter, Wangenknochen werfen dunkle Schatten, es sind Männer, Frauen und Kinder jeden Alters – sogar ein Kleinkind läuft noch etwas unsicher umher und bewegt sich zum Rhythmus der Musik.
    Das sind nicht nur ein paar Außenseiter. Das ist ein ganzes Volk von Außenseitern, das ein Volksfest feiert.
    Ganz vorne sitzen Mädchen mit Trommeln zwischen den Knien, sie trommeln und schlagen ohne Pause, hinter ihnen steht ein bärtiger Mann und spielt eine Flöte, irgendwo ertönt eine Gitarre. Alle klopfen sich auf die Schenkel und singen manchmal mit, aber ich verstehe die Worte nicht. Sogar ich spüre, wie der Rhythmus der Trommeln in meine Glieder fährt. Ich setze die Maus auf meine Handfläche und sie fängt an mitzutanzen. Die Luft schwirrt nur so von Stimmen und Rhythmen und gespannter Erwartung. Plötzlich verstummen Musik und Gespräche und einen Augenblick lang höre ich nur das Knistern der Holzscheite und das Pochen unserer Herzen. Aber nur einen Augenblick lang, denn dann setzt das Trommeln wieder ein und wird schneller …
    Und schneller …
    Und noch schneller …
    Alle drehen erwartungsvoll den Kopf. Eine Gestalt tritt aus der Dunkelheit hervor, schreitet durch die Menge, die weicht, um Platz zu machen, die klatscht und ihr dabei auf die Schultern klopft …
    Es ist Mutter.
    In ihren Augen spiegeln sich die Flammen, als sie selbstbewusst und entschlossen in die Mitte des Kreises tritt und in die Hände klatscht. Musik, Singen und Johlen hören schlagartig auf – einfach so. Eine Minute lang schreitet sie schweigend den Kreis ab, sagt kein

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