Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
nicht lange dauern, bis wir uns wiedersehen.
Sie streichelte zärtlich den roten Granit. Aus den Wäldern nördlich der Kirche war das dunkle Rufen eines Uhus zu hören.
– Wie geht es euch, dir und deiner Martine? fragte sie plötzlich und schielte zu Thomas. Sie ist ein liebes Mädchen, ich mochte sie sehr, als ich sie in Paris kennengelernt habe. Aber ich glaube, sie möchte gern was Kleines und sich nicht nur die ganze Zeit mit Mord und Elend beschäftigen.
Thomas biß die Zähne zusammen, daß es in den Kiefern weh tat. Es gab Dinge, die er mit niemandem diskutieren wollte, nicht einmal mit seiner Großmutter.
Nach dem Spaziergang brauchte Greta Lidelius Ruhe. Sie legte sich aufs Bett, und Thomas breitete ein Plaid über sie. Danach rief er ein paarmal in der Universität in Villette an, um neue Beratungszeiten für einige seiner Doktoranden zu organisieren und um sich zu vergewissern, daß seine Kollegen am Institut jemanden gefunden hatten, der die Vorlesungen übernehmen konnte, die er so kurzfristig hatte absagen müssen. Dann setzte er sich mit einer Tasse Kaffee und der Korrektur seines neuen Buches zufrieden an den Küchentisch. Auf dem Weg nach Granåker hatte er in Stockholm haltgemacht, um mit seinem alten Mentor Einar Bure, inzwischen Professor emeritus in mittelalterlicher Geschichte, ein paar Punkte zu diskutieren. Einar hatte ihm wie immer wertvolle Hinweise gegeben.
Er hatte gut eine Stunde gearbeitet, als er das Geräusch eines Autos auf dem Hof hörte. Er guckte aus dem Fensterund sah ein Taxi, das gerade auf dem Hofplatz wendete. Gleichzeitig hörte er aus der Diele eine wohlmodulierte Altstimme mit erlesener Diktion:
– »Der Wind von Wäldern und Heiden der Heimat sei mein Reisekamerad und führe mich durch Kampf und Frieden als ein singender Soldat.« Gott, wie ich all diese Flugplätze hasse und Charles de Gaulle am allermeisten! Wie steht es mit Großmutter?
Seine ältere Schwester Sophie fegte in die Küche, eine Pariser Vision in wadenlangem lila Mantel und hohen schwarzen Stiefeln.
– Hej Fia, sagte Thomas, Großmutter liegt in der Bibliothek und ruht sich aus, aber sie wirkt heute ganz munter.
Durch die offenen Türen zwischen Küche, Eßzimmer, Saal und Bibliothek war die spröde Stimme der Bischöfin zu hören:
– Sophie, Liebes, ich höre, daß du hier bist. Komm rein, ich will dich begrüßen!
Greta Lidelius hatte immer eine besondere Schwäche für ihr älteres Enkelkind gehabt. Als Sophie, erst neunzehn Jahre alt, den zwanzig Jahre älteren Regisseur Eskil Lind geheiratet hatte, war sie von ihrer Großmutter rückhaltlos unterstützt worden. Als sich Sophie fünf Jahre später von Eskil Lind hatte scheiden lassen und in die freie Theatergruppe in Hammarås eintrat, hatte Greta Lidelius dafür gesorgt, daß die Schauspieler in dem leeren Gemeindehaus in Granåker arbeiten konnten, und sich tagsüber um Sophies Sohn Daniel gekümmert. Als Sophie nach drei Jahren Dalarna und die Theatergruppe verlassen hatte, um eine Regieausbildung in Paris zu beginnen, war die Bischöfin noch enthusiastischer gewesen.
Jetzt saß Greta Lidelius aufrecht im Bett und sah lebendigeraus, als Thomas sie in den letzten zwei Tagen gesehen hatte.
– Hübsch siehst du aus, sagte sie zu Sophie, diese Farbe steht dir. Und den ganzen Weg von Paris bist du gekommen, um deine alte Großmutter zu besuchen. Was machst du zur Zeit?
Sophie ließ sich auf der Bettkante nieder.
– Oh, sagte sie, ich bin dabei, meine alte Inszenierung von »Tosca« aufzufrischen, die wollen, daß ich sie im Dezember in der Oper in Bratislava mache. Außerdem haben wir gerade »Das Massaker in Mougins« fertiggeschnitten, das ist ein Fernsehfilm, der auf Thomas’ neuem Buch basiert.
– Was für tüchtige Enkelkinder ich habe, sagte Greta und strahlte die beiden an. Aber jetzt muß ich mich wohl noch etwas ausruhen.
Sie legte sich hin, und Sophie glättete mit nachdenklicher Miene das Plaid über ihr.
Thomas hatte gerade für Sophie Kaffee eingeschenkt, als er noch einmal das Geräusch von Rädern auf dem Kies des Hofes und das Quietschen von Türangeln hörte, als die Haustür geöffnet wurde. Er folgte Sophie in die Diele und sah Birgitta Matsson in der Tür stehen und seine Schwester anstarren.
– Frau Lind! rief sie aus.
– Frau Matsson! schrie Sophie.
Sie fielen einander in die Arme und stießen begeisterte Rufe aus. Da sie beide lila gekleidet waren, mußte Thomas an Bischöfe denken, die sich auf
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