Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
an ihrem Wein und entschloß sich, direkt zurSache zu kommen, um zu zeigen, daß sie das hier als ein rein professionelles Zusammentreffen sah.
– Du hattest etwas zu erzählen, sagte sie.
Jean-Claudes graue Augen blickten bekümmert. Er strich sich ungeduldig die Haare aus der Stirn, ebenso, wie er es vor fünfzehn Jahren getan hatte.
– Ja, sagte er, aber zuerst muß ich dich etwas fragen. Es geht das Gerücht, daß der tote junge Mann in der Erzladung ein französischer Journalist war, stimmt das?
– Ja, das stimmt, sagte Martine vorsichtig, wir haben das nur deshalb noch nicht veröffentlicht, weil wir zuerst sicher sein wollten, daß all seine nächsten Angehörigen informiert sind.
– Hieß er Fabien Lenormand?
Martine sah ihn erstaunt an.
– So hieß er, ja. Woher wußtest du das?
– Ich hätte ihn treffen sollen, sagte Jean-Claude langsam, morgen abend in einem Café am Bahnhof. Er hat mehrmals angerufen und genervt, ich habe gesagt, ich hätte nichts zu sagen, aber er gab einfach nicht auf. Schließlich bin ich darauf eingegangen, ihn zu treffen, um dem Generve ein Ende zu machen.
– Und worüber wollte er reden? fragte Martine.
– Das kannst du dir sicher denken, sagte Jean-Claude, du mußt schon etwas davon gehört haben, daß er eine Vendetta gegen Stéphane Berger betrieb, und reden wollte er über Bergers Geschäfte. Aber ich weiß darüber nicht mehr als alle anderen, zumindest nichts, was ich einem Journalisten sagen könnte …
Der Satz hing unvollendet und vielversprechend zwischen ihnen. Martine hob ihr Weinglas und nippte wieder daran.
– Aber einer Untersuchungsrichterin … sagte sie versuchsweise.
– Ja, sagte Jean-Claude und sah aus, als habe er sich zu etwas entschlossen. Was weißt du von Bergers Geschäften in Villette, Martine? Ich habe gehört, daß du heute nachmittag draußen bei Berger Rebar warst.
– Ja, sagte sie mit einem Seufzer, aber von Bergers Geschäften weiß ich nichts. Ich bin vermutlich gezwungen, mich da jetzt einzulesen. Alles, was ich weiß, ist, daß er vor ein paar Jahren einen Teil von Forvil gekauft hat. Für einen Ecu, oder?
– Genau, sagte Jean-Claude, er kaufte das Feinwalzwerk von Forvil, das unter dem Namen Berger Rebar als eine eigene Gesellschaft ausgegliedert wurde. Rebar oder reinforcing bar bedeuten Armierungseisen, Bewehrungsstahl, und das ist es, was sie bei Berger Rebar herstellen. Armierungseisen sind die Hamburger der Stahlindustrie, kann man sagen, ein einfaches Produkt, es erfordert keinerlei größere Finesse oder hochtechnologisches Können, um sie herzustellen. Man kann Armierungseisen aus jedem beliebigen Rosthaufen von Eisenwerk heraushauen, und das tut man an viel zu vielen Stellen, besonders jetzt, nachdem die Krise die Nachfrage ruiniert hat. Forvils Abteilung für lange Produkte, die vor allem Armierungseisen macht, lief in den ersten Jahren der Neunziger mit Riesenverlusten, und die Unternehmensleitung hatte sich im Prinzip entschieden, das Elend stillzulegen. Die Strategie der Gewerkschaft sollte so aussehen, daß wir für die Angestellten die bestmögliche Vereinbarung erzielen wollten, während wir natürlich gleichzeitig wütend gegen die Stillegungspläne protestiert und betont haben, wie hochproduktiv und effektiv das Werk ist.
Sie bekamen ihre Vorspeisen. Martine preßte Zitrone über ihren Teller und wickelte eine der laubdünnen, mürben Ochsenfiletscheiben um die Gabel.
– Es gab eine Besetzung, oder? sagte sie.
– Genau, sagte Jean-Claude und lächelte zufrieden bei der Erinnerung, die Angestellten besetzten ein paar Tage im April 1992 das Walzwerk, sperrten ein paar Chefs, die zufällig vorbeigeschaut hatten, ein und zogen mit symbolischen Särgen in der Stadt herum. Hübsche kleine Aktion. Es gab keine Chance, daß das die Stillegung hätte aufhalten können, aber als politischer Druck gegen die Eigner und die Unternehmensleitung war es besonders effektiv.
– Und da tauchte Stéphane Berger auf?
– Da tauchte Stéphane Berger auf, stimmte Jean-Claude zu, im Juni 1992 kam er nach Villette und bot sich mit viel Klamauk an, das Feinwalzwerk zu übernehmen und es als eigene Gesellschaft weiterzubetreiben. Du erinnerst dich vielleicht an seine Pressekonferenz?
Martine erinnerte sich zumindest an den Beitrag in den Fernsehnachrichten, besonders an die Bilder von Berger, der mit seinem Bentley zur Hauptverwaltung von Forvil angefahren kam, passenderweise mit der Erkennungsmelodie von »Die Bullen
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