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Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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Dinge wie Aberglaube und Phantasterei die Nase gerümpft. Du mußt einfach aufmerksam sein, hatte die Großmutter gesagt, wenn Birgitta neben ihr in derWebstube saß und zusah, wie aus dem verschlissenen Blaumann des Vaters und ausrangierten Schürzen der Mutter wunderbarerweise farbenfrohe Teppiche entstanden, du mußt Augen und Ohren und alle Sinne offen haben. Dann weißt du immer, was ist, sagte Brita, wenn du auf der Sennhütte bist, gehst du dort vielleicht umher und denkst nur darüber nach, mit wem du am Samstag tanzen wirst, aber unwillkürlich sehen deine Augen die Kratzspuren an den Bäumen und die Unordnung in den Ameisenhaufen, und deine Ohren hören, daß der Hund anders bellt und daß das Vieh still geworden ist. Dann weißt du, daß der Bär da ist, obwohl du nicht sagen kannst, warum du dir so sicher bist.
    Birgitta hatte den Rat ihrer Großmutter nie vergessen. Sie erinnerte sich an damals, als sie in Hamra gerade angefangen hatte und nach Ende der Schicht mit einem drückenden Gefühl von Gefahr im Körper vom Laufkran geklettert war. Sie hatte gespürt, daß etwas nicht stimmte. Aber die Arbeitskollegen, denen sie das gesagt hatte, hatten sie mit Blicken abgefertigt, die sagten »ja, die Weiber« und »sie hat wohl ihre Tage«, und sie hatte nicht die Kraft gehabt, hart zu bleiben. Aber auf dem Heimweg hatte sie an Britas Worte gedacht und versucht, sich zu erinnern, was ihr dieses Gefühl von Gefahr eingeflößt hatte, und plötzlich wußte sie es. Sie hatte eine Gießpfanne mit flüssigem Stahl bedient, und da war ein Lichtreflex gewesen, der dort nicht hätte sein dürfen, ein kurzes Kräuseln in der glühenden Scheibe, als habe etwas die Gießpfanne zum Vibrieren gebracht. Birgitta hatte kehrtgemacht und war in rasendem Tempo zurück zum Werk geradelt, hatte sich den Schutzhelm aufgedrückt, war hineingestürzt und hatte mit einer Autorität, die sie von sich nicht kannte, angeordnet, daß allevom Laufkran wegtraten, der jetzt erneut mit einer Ladung von hundert Tonnen glühendem geschmolzenem Eisen unter der Decke dahinglitt. Die Männer von der anderen Schicht kannten sie kaum, und sie hatten sie angestarrt wie eine Irre, aber etwas in ihrer Stimme hatte sie veranlaßt zu tun, was sie sagte. Und deshalb hatte sich keiner in der Gefahrenzone befunden, als ein Laufkranseil riß und der glühende Stahl über den Boden floß.
    Das war ein wichtiges Ereignis für Birgitta gewesen, es war der erste Schritt, das unerschütterliche Selbstvertrauen, das sie als Kind gehabt hatte, das in den Jahren mit Christer aber völlig zerstört worden war, wieder aufzubauen.
    Jetzt hatte sie es völlig zurückgewonnen. Sie wußte, daß sie Kommunalrat geworden war, weil die wichtigsten Kandidaten, Arne Fredriksson und Hans Nyberg, beide damit gerechnet hatten, daß sie genug Zeit haben würden, um den anderen auszustechen, während sie Fehler machte. Trotzdem hatte sie nie daran gezweifelt, daß sie die Beste für Hammarås war. Sie selbst hatte die Öffnung gesehen, die ihr Hahnenkampf erzeugt hatte, sie selbst hatte sich in die Lücke zwischen ihnen manövriert. Und sie hatten nie etwas geahnt.
    Aber auch jetzt wußte sie, daß etwas nicht stimmte. Und als sie zum Bahnhof ging, um eine Fahrkarte zu kaufen, fragte sie sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, ob das die richtige Art war, wie sie mit ihrem unglaublichen Verdacht umgehen sollte. Irgend etwas während des Telefongesprächs neulich hatte an Birgitta die gleichen Warnsignale ausgesandt wie früher einmal ein in Unordnung gebrachter Ameisenhaufen auf der Sennhütte an ihre Großmutter. Janols’ Brita hatte Kühe geweidet, aber ihre Enkelin war Berufspolitikerin und Unterhändlerinund arbeitete mit Menschen und Worten. Und selbstverständlich hatte es in diesem Gespräch eine Pause gegeben, die den Bruchteil einer Sekunde zu lang war, einen Tonfall, der eine Spur zu beherrscht klang, Instruktionen, die etwas zu präzise waren …
    Birgitta Matsson war jetzt absolut sicher, daß ein Bär in ihrem Wald war. Aber sie hatte ihren Entschluß gefaßt, und es gab kein Zurück. Die Worte, die sie in der Pfarrhofküche zum Erschauern gebracht hatten, klangen durch ihren Kopf, während sie zum Fahrkartenschalter ging.
    »Ein Stich im Daumen, er sagt mir,
Etwas Böses ist bald hier.«
    Der erste, den Martine sah, als sie in den Warteraum der Zeugen trat, war Guy Dolhet, früherer Bürgermeister von Villette, früherer Innenminister, früherer

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