Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Senator. Er füllte den Stuhl, auf dem er saß, kleingewachsen und kompakt in seinem unmodernen grauen Anzug. Er sah sie sofort, als sie hereinkam. Seine schwarzen Augen musterten sie mit konzentrierter Bosheit.
– Sieh an, Madame Poirot, sagte er, wollen Sie wirklich hier sitzen und mit uns gewöhnlichen einfachen Zeugen warten? Ich habe gehört, daß Sie vom Ausschußvorsitzenden eine Spezialbehandlung erhalten sollen.
Seine Stimme triefte von Andeutungen. Martine machte sich nicht die Mühe zu antworten. Sie ließ sich auf einem Stuhl nieder und sah auf die Uhr. Immer noch lange Zeit zu warten. Sie hätte länger wegbleiben sollen. Aber sie wollte nicht riskieren, zur Befragung zu spät zu kommen.
Eine vergoldete Uhr an der Wand tickte Minuten herunter, die ewigkeitslang wirkten. Sie schloß die Augen und versuchte, etwas Neutrales und Beruhigendes zu finden, woran sie denken konnte.
Ein gedämpftes Klingelsignal brach die aufgeladene Stille im Raum. Sie sah sich verwirrt um und merkte, daß das Geräusch aus ihrer eigenen Handtasche zu kommen schien. Natürlich, sie hatte ja eines der neuen Mobiltelefone bekommen, die neulich für den Justizpalast angeschafft worden waren. Sie nahm eilig das Telefon heraus und drückte auf den Knopf mit dem grünen Telefonhörer, wie man es ihr gezeigt hatte.
Es war Nathalie Bonnaire, die anrief. Ihre Stimme war verblüffend deutlich zu hören, klang aber heiser.
– Es geht um das schwarze Notizbuch, sagte sie eifrig, Fabiens kleines schwarzes Buch. Sie haben gesagt, ich sollte anrufen, wenn ich es finde, und Julie Wastia hat mir die Nummer des Mobiltelefons gegeben. Können Sie jetzt reden?
– Ja, sagte Martine, Sie haben das Notizbuch also gefunden?
– Ja, sagte Nathalie Bonnaire, ich habe mich endlich aufgerafft, Fabiens Bettwäsche von der Schlafcouch abzuziehen und sie zusammenzuklappen, und da habe ich das Buch gefunden, es war unter die Matratze gerutscht. Ich habe hineingeguckt, und Sie müssen es sich anschauen, es ist ein bißchen schwer, sein Gekrakel zu lesen, aber es weist alles auf Stéphane Berger hin!
– Sollen wir jemanden schicken, der es holt, oder bringen Sie es selbst?
– Es ist besser, wenn Sie jemanden schicken, sagte Nathalie Bonnaire, ich bin leider krank, erkältet und fiebrig, deshalb bin ich heute nicht zur Arbeit gegangen. Aber es hat keinen Sinn, das Buch einfach abzuholen, Sie brauchen meine Hilfe beim Entziffern.
– Okay, sagte Martine, ich kümmere mich darum.
Sie drückte auf den Knopf mit dem roten Hörer. Unglaublich praktisch, diese Mobiltelefone, dachte sie, schade, daß wir nicht alle eines bekommen. Sie rief Julie an und erklärte, daß einer der Ermittlungsbeamten so schnell wie möglich zu Nathalie Bonnaire nach Hause fahren müsse, um mit ihr Fabien Lenormands Notizbuch durchzugehen.
– Ich sage Annick Bescheid, wenn sie zurückkommt, sagte Julie, Christian ist immer noch in Brüssel, glaube ich, und Serge ist mit etwas anderem beschäftigt.
Martine beendete das Gespräch und steckte das Telefon in die Handtasche. Als sie aufblickte, sah sie in Guy Dolhets kalte schwarze Augen. Er sah sie direkt an, und ein kleines, triumphierendes Lächeln spielte in seinem linken Mundwinkel.
Der Lunchansturm war gerade vorbei, als Annick die Brasserie am Rand von Foch-les-Eaux betrat. Ein junger Kellner deckte die Tische für das Abendessen, während eine große Frau mit kurzgeschnittenen grauen Haaren hinter der Bar stand und Gläser putzte.
– Wir haben eigentlich jetzt geschlossen, sagte sie fröhlich zu Annick, aber wenn Sie nur etwas trinken möchten, läßt sich das sicher einrichten.
– Nein, ich komme von der Polizei, sagte Annick und zeigte ihre Legitimation vor. Sind sie Madame Tavernier? Mit Ihnen möchte ich reden.
Suzanne Tavernier hob erstaunt ihre wohlgezupften Augenbrauen.
– Und worum geht es, sagte sie, hier haben wir wirklich nichts zu verbergen.
– Pisti Juhász, sagte Annick kurz.
Das Glas, das Suzanne Tavernier gerade polierte, glitt ihraus den Händen und zerbrach auf dem Steinboden. Sie sah bestürzt auf die Glasscherben hinunter und lächelte dann Annick verlegen an.
– Oj, sagte sie, das ist ein Name, den ich seit vielen Jahren nicht gehört habe. Können Sie einen Augenblick warten, ich will in der Küche nach dem Rechten sehen, dann komme ich gleich. Möchten Sie eine Tasse Kaffee trinken, während Sie warten?
Annick nickte dankbar. Suzanne Tavernier machte ihr einen doppelten Espresso,
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