Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
vom Schreibtisch und ließ sich in dem anderen Sessel nieder.
– Ihr seid also vier Personen, die heute aussagen sollen. Du wirst als Nummer drei hereingerufen werden, sagte er,und ich dachte, wir können uns kurz darüber verständigen, welche Fragen dir möglicherweise gestellt werden.
Die Vorbereitung der Befragung war schnell erledigt. Da Martine zu denen gehörte, die die Wahrheit über die Ereignisse enthüllt hatten, die in der Vergangenheit vertuscht worden waren, hatte sie vor dem Ausschuß nahezu Heldenstatus und brauchte keine allzu kniffligen Fragen zu befürchten.
– Okay, sagte Jean-Louis, als sie mit dem Durchgehen der Fragen fertig waren, das ging ja schnell. Hast du vielleicht Zeit für etwas Klatsch? Politischen Klatsch, meine ich natürlich. Es heißt, daß du jetzt hinter Stéphane Berger her bist?
Seine braunen Augen strahlten Martine an. Sie spürte, wie es ihr vor Unbehagen am Rückgrat kribbelte. Anscheinend wußte nicht nur halb Villette von ihrem Besuch bei Berger Rebar, sondern das halbe Land.
– Ich bin nicht direkt hinter Berger her, sagte sie vorsichtig. Er ist in einer Voruntersuchung, an der ich arbeite, erwähnt worden, aber ich weiß noch nicht, ob da etwas dran ist. Was sind das für Gerüchte, die du gehört hast, und woher kommen sie?
Er hörte die Spannung in ihrer Stimme und warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, während er an seiner dritten Tasse Kaffee nippte.
– Die Gerüchteküche ist schnell, wie du weißt, sagte er, und sie ist überall. Ich habe gehört, daß du darüber nachdenkst, ernstlich in Bergers Geschäften herumzuschnüffeln, als ein Teil der Untersuchung des Mordes an diesem französischen Journalisten. Du verstehst natürlich, daß das Bergers politische Beschützer in Villette beunruhigt, die dich nach der Demaret-Affäre sowieso schon nicht ausstehen können.
– Das ist ja lächerlich, sagte sie böse, deine Gerüchtemacher scheinen mehr von meinen Plänen zu wissen als ich selbst. Wer sind Bergers politische Beschützer, meinst du?
– Aber das weißt du ja schon, sagte er nachsichtig, die alte Garde in Villette, die Messières-Mafia, wie sie genannt werden, mit Guy Dolhet an der Spitze. Persönlich hätte ich nichts dagegen, wenn du ihnen noch einmal den Kopf waschen würdest, das ist eine Bande von Reaktionären, die der Entwicklung im Weg stehen. Villettes Zukunft liegt bei der anderen Phalanx, solchen wie Nali Paolini und Jean-Pierre Santini, die haben begriffen, daß die Entwicklung in unserer Region auf Dienstleistungen, Handel und Wissenschaft aufbauen muß und nicht darauf, qualmende alte Industrien künstlich zu beatmen. Es heißt ja, was du sicher weißt, daß Berger einige lukrative Bauverträge ohne Ausschreibung angeboten wurden, wenn er versprach, sich des Feinwalzwerks von Forvil anzunehmen.
Martine schüttelte hilflos den Kopf. Sie begriff, daß Jean-Louis, genau wie Jean-Claude Becker, versuchte, ihr für seine eigenen Zwecke etwas zu stecken. Es war die reine Ironie, dachte sie, der Mann, der sie hatte fallenlassen, und der Mann, der sie nur als Seitensprung hatte haben wollen, kamen jetzt zu ihr und versuchten, sie zum Handeln zu bewegen, weil sie die Macht hatte, die ihnen fehlte. Aber sie konnte es nicht lassen, neugierig nachzufragen.
– Welche Bauverträge? fragte sie.
Jean-Louis lächelte, zufrieden darüber, daß sie angebissen hatte.
– Die neue Sporthalle in Messières, sagte er, und der große Umbau des Gymnasiums. Glaub mir, da kann man viel Interessantes finden, wenn man anfängt, ernstlich herumzuwühlen.
Er sah auf die Uhr.
– Zeit für die nächste Sitzung, leider, sagte er, aber wir sehen uns bei der Befragung. Sag dem Kanzleidiener im Foyer Bescheid, dann führt er dich zu einem Raum, wo du mit den anderen Zeugen warten kannst.
Er zögerte.
– Oder du läßt dir vielleicht etwas anderes einfallen, um dir die Wartezeit zu verkürzen, geh zum Boulevard de Waterloo shoppen, oder so? Es dauert sicher ein paar Stunden, bis du an der Reihe bist. Und auch Guy Dolhet sagt heute aus, du wirst ihn im Warteraum antreffen.
Er zog das dunkelblaue Sakko an, das über dem Schreibtischstuhl hing, ein Meisterwerk der Schneiderkunst, das ihn sofort schlanker aussehen ließ.
– Und sei vorsichtig, Martine, sagte er ernst, ich will wirklich nicht, daß dir etwas passiert.
Das war eine wohlwollend gemeinte Warnung, keine Drohung, aber sie bewirkte, daß ihr sehr schlecht zumute war.
Die Luxusboutiquen am
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