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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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noch zu begreifen und folglich ohne die göttliche Erleuchtung, welche ich in der ersteren fand.
    Mein Vater, welcher sich nach erfolgter Sezierung die Hände mit Essig gewaschen und schließlich nach den Aufregungen der Nacht einige Müdigkeit verspürte, gedachte sich noch an einem Imbiß zu laben, ehe er sich auf sein Lager begab. Worauf ich mit größtem Gelüst und Appetit einging, denn in jenen Jünglingsjahren war mein Magen schier unersättlich. Miroul leuchtete uns mit seinem Kandelaber zum großen Saal, trug allerlei Speisen auf und setzte sich zum Schmause zu uns. Wir tafelten anfangs schweigend mit großem Hunger, die Kiefer wacker regend wie ein zufriedener Ochs auf der Weide, glücklich darüber, daß wir gesund und munter allhier saßen, indes die Bösewichter, welche uns morden wollten, den Tod gefunden, und all unser Besitz unversehrt geblieben war, ausgenommen eine Tür.
    Sapperment! wie gut tat es doch, die sicheren Mauern von Mespech um sich zu wissen, seinen großen See und seinen Ringwall, jenseits dessen sich unsere wohlbestellten Ländereien, aus welchen wir unseren Lebensunterhalt zogen, weithin erstreckten. Denn es befand sich nichts auf diesem Tisch,das nicht von unserem Grund und Boden stammte: der Schinken von unseren Schweinen im Beunes-Grund, das Weißbrot von unseren Weizenfeldern, der Rotwein von unserem Weinberg; der Tisch selbst war verfertigt aus dem Holz einer unserer Eichbäume, dessen Größe und Mächtigkeit ich in meinen Kindesjahren oft bewundert hatte, bis ich ihn eines Tages, vom Sturme niedergerissen, auf der Erde liegen sah.
    Zu den Wundern der Natur, mit denen uns Gott in seiner Güte so zahlreich beschenkt, gehöret ohne Zweifel das Essen, welches ein Entzücken für den Gaumen als auch zugleich das allertrefflichste Abwehrmittel gegen jegliche ansteckende Krankheit darstellt, eine Wahrheit, welche mir mein Vater übermittelt hat, der sie wiederum Ambroise Paré und dessen hochgelehrter Abhandlung über die Pest verdankte, in welchem Werke ich gelesen, daß ein wohlgenährter Leib einer wohlbefestigten Burg mit Wassergraben, Mauer und Pechnasen gleichet. Denn solange Blut- und Pulsadern nicht mit Speise gefüllet, gewähren sie den Giften der Luft freien Zutritt, welche, die vorgefundene Leere ausfüllend, sich alsbald der edlen Körperteile bemächtigen, vornehmlich des Herzens, der Lunge und der Geschlechtsteile. So sagte ich mir: je mehr du deinen Leib füllest, desto mehr schützest du ihn, und wenn ich recht in mein Inneres hineinspürte, vermeinte ich zu fühlen, wie Brot, Wein und Fleisch in den Kanälen meines Körpers gleich wachsamen kleinen Soldaten zirkulierten, bereit, jeglichen üblen Eindringlingen den Weg zu versperren, sollte die Pest oder sonst eine Seuche sie an meine Körperöffnungen heranbringen. Indem ich also aufs allerbequemste bei Tische saß, die Beine weit von mir gestreckt, mich wacker labend an Speis und Trank, dabei traulich plaudernd mit meinem vielgeliebten Vater zur Rechten und Miroul zur Linken, die Glieder wohlig warm, Milz und Leber unbeschwert, war ich erfüllt von großem Wohlbehagen.
    »Mein Herr Vater«, sprach ich schließlich in meiner Wohlgemutheit, »darf ich wohl fragen, wofür Ihr die Gavachette bestimmt habt?«
    Worauf mein Vater mich erstaunt anblickte, mit heimlichem Spott in den blauen Augen.
    »Wozu sonst als zu dem Amt und Stand, so sie jetzt innehat, nämlich Hausmagd?«
    »Ich verstehe wohl.«
    Doch da ich nicht weitersprach, fuhr mein Vater in scheinbar arglosem Ton fort:
    »Was bedeutet Eure Frage? Sehet Ihr eine andere Verwendung für die Jungfer?«
    Da entschloß ich mich, alle Brücken hinter mir abzubrechen.
    »Ja, in der Tat«, sprach ich.
    »In der Tat?« sprach mein Vater. »Und welche?«
    »Es ist so, daß ich vermeine …«, hub ich an, meine Rede sogleich zügelnd, aus übergroßer Scham weiterzusprechen.
    »Was vermeinet Ihr?«
    »Ich vermeine …«
    »Ei! mein Herr Sohn, was ist der Gedanke ohne die Rede! Wenn Euer Hirn schwanger ist mit einer Idee, dann heraus damit!«
    »Nun gut«, sprach ich mit einigem Herzklopfen, »ich finde, daß die Gavachette, so wie sie gebaut ist, mehr zum Bettenzerwühlen taugt denn zum Bettenmachen.«
    Worüber mein Vater aus vollem Halse lachte, indes in Mirouls Gesicht, welches sich zu keinem Lächeln verzog, das blaue Auge unbewegt blieb, wohingegen das braune vor Heiterkeit blitzte.
    »Hoho! mein Herr Sohn«, hub Jean de Siorac wieder an, »so habt Ihr also Geschmack

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