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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Atem den Fortgang der Predigt erwarteten.
    »O ihr Weiber! O ihr Jungfern!« fuhr Maillard mit drohender Stimme fort, mit seinen riesigen Fäusten von neuem auf die Kanzel hämmernd, »habt ihr wohl bedacht, was ihr tut? Ihr, die ihr so schambar seid, daß ihr euch selbst vor euerm Ehegemahl nicht nackend zeigen wollt, wisset ihr, was mit euch geschieht, wenn ihr nach euerm Tode vor dem Richterstuhl des Höchsten erscheinen werdet?«
    Nach kurzem Schweigen fuhr er mit Donnerstimme fort:
    »Ich will es euch sagen. Als Strafe für eure Eitelkeiten und Zügellosigkeiten werden die Teufel der Hölle euch bis zu völliger Nacktheit entblößen und in diesem Zustand tausend- und aber tausendmal durch die Hölle jagen, nicht vor den Augen eines Mannes, sondern vor denen von Hunderttausenden, welche sich den Buckel voll lachen und über euch spotten werden, wenn sie euch in eurer Schambarkeit und Schande sehen. Welch ein Entsetzen wird euch erfassen, wenn ihr, bar jeglicher Kleidung, so daß sich nackt und hüllenlos vor aller Augen zeigt, was ihr an Schandbarlichstem besitzt, unter lautem Trompetenschall durch die ganze Hölle getrieben werdet, indes die Teufel lachen, spotten und schreien: ›Seht nur, seht, die Hure da und dort die Unzüchtige und hier die und die aus der und derGasse zu Paris (er nannte die Namen), welche soundso viele Male Unzucht getrieben mit diesem und jenem, und vielen anderen noch!‹
    Und Hunderttausende werden herbeiströmen, auch alle, die euch zu euern Lebzeiten gekannt haben, eure verstorbenen Verwandten, eure Freunde, eure Nachbarn – sie werden voll tödlichem Haß am Wege stehen, euch verhöhnen und sich gegenseitig zurufen: ›Da läuft sie nackt, die Hure! Seht die Dirne dort! Vorwärts, ihr Furien! Stürzt euch auf diese verruchten Dirnen! Peinigt und martert sie, auf daß ihre Qualen die auf Erden gehabte Lust um ein Vielfaches übersteigen!‹«
    Nachdem Pfarrer Maillard diese Worte mit der ganzen Kraft seiner Lungen herausgeschrien, verstummte er, das Angesicht puterrot, die geballten Fäuste auf dem Kanzelpult, mit halbgeschlossenen Augen seine Schäflein betrachtend und die Wirkung seiner Rede abschätzend, welch letztere – wie mich deuchte – mehr die Männer denn die Frauenzimmer zu befriedigen schien, denn nach des Pfaffen Worten hatte es ja den Anschein, als sündigten nur die Weiber allein. Verstohlen um mich blickend, glaubte ich sowohl Furcht wie auch Empörung auf den Gesichtern meiner Nachbarinnen wahrzunehmen, als fühlten sie, wie sehr ihnen unrecht getan ward, was sie indes nur durch heimlich gewechselte Blicke zu zeigen wagten. Ob Maillard diese Auflehnung spürte oder sich einfach durch seine Lust an solch erschröcklichen Höllenbildern hinreißen ließ, weiß ich nicht zu sagen, doch erging er sich nach einer Atempause des langen und des breiten in einer Beschreibung der Martern oder Folterungen, welche die Teufel den armen Weibsbildern antun würden, wobei er so abscheuliche und widerliche Einzelheiten schilderte, daß ich sie hier nicht wiederholen will aus Furcht, die Damen unter meinen Lesern zu erschrecken.
    Denen, welche sich in der Kirche versammelt fanden, jagte er jedenfalls einen höllischen Schrecken ein, daß sie das Verbrechen begangen hatten, zum schönen Geschlecht zu gehören; er schien sich gleichsam rächen zu wollen, daß er dem Verkehr mit ihnen durch sein Gelübde entsagt hatte.
    Überdies schien mir seine Predigt, so abschreckend und grausam sie auch war, gänzlich unnütz, denn ich wüßte nicht, daß die Schrecken des Jenseits die Menschen jemals von den Vergnügungen des Diesseits abgehalten hätten, zumal in der papistischenReligion eine Ohrenbeichte genügte, die Sünder von ihren Sünden loszusprechen und ihre Seele wieder rein und makellos zu machen. Das einzige, was dieser wüste Redeschwulst wohl bewirkte, war ein Ansteigen der Zahl der Beichterinnen in der folgenden Woche wie auch eine Vermehrung der Silberlinge, die den Pfaffen für die Absolution zu zahlen waren.
    Doch alles endiget einmal, und so kam Maillard auch ans Ende seiner Beschreibung der erschröcklichen Qualen, welche die schönere Hälfte des Menschengeschlechtes in der Hölle erwarteten als Strafe für die mit der anderen Hälfte begangenen Unzüchtigkeiten. Nachdem er sich bei seiner Schilderung reichlich erhitzt hatte, verstummte er, um geraume Zeit still zu beten, und hub dann mit dumpfer Stimme wieder an:
    »So groß die Verfehlungen der Weiber auch sein mögen

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