Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
opferte unser junges Glück für sein kleines Plätzchen im Paradiese, als ob der Tod der Zweck des Lebens wäre und nicht einfach nur sein Ende!
Oh! gewiß hätte ich meinerseits für meine Angelina die Götzenbilder, die Heiligen, die Anbetung der Jungfrau Maria – und sei es nur als Lippenbekenntnis – hinnehmen und mich sogar der Ohrenbeichte unterwerfen können, doch durfte ich einwilligen, mit einer öffentlichen Glaubensabsage meinen Vater und Sauveterre zutiefst zu verletzen? Ja, Fogacer hatte recht! Ich gehörte mehr zu meiner Partei als zu einer Kirche, denn religiöser Eifer war mir fremd, sah ich doch allzugut seine unmenschlichen Auswirkungen. Aber wie hätte ich aus meinem Herzen, ohne es gänzlich zu entweihen und mich mir selbst verhaßt zu machen, die Treue zu meinem so geliebten Vater reißen können, zu Oheim Sauveterre, zu Samson, zu Mespech, wo selbst die Steine sich gegen diesen Verrat empört hätten?
Das Leid dauert seine Zeit. Und wie langsam vergehet die Zeit, wenn der Schmerz in uns wohnt! Und der schlimmste Schmerz ist wohl jener, welcher das Auge trocken läßt, das Herz derart quält und den Verstand so verwirrt, daß man nicht mehr weiß, ob man noch lebt oder schon mehr tot als lebendig ist, weil sich die Zukunft wie eine Wand erhebt, welche man nicht durchdringen kann noch will, da man zu schwach ist, etwas anderes zu begehren als das entschwundene geliebte Wesen.
Ich sah meine Angelina schon begraben in einem Kloster, umgeben von jenen armen, durch das bittere Los der Keuschheit vergrämten Nonnen, welche sich nun an ihr, die noch so jung und schön war, rächten, als wäre die Schönheit des Leibes eine Sünde. Und so quälte mich die Frage, ob es nicht besser sei, ihr ein kleineres Übel als das Kloster zu wünschen, einen Ehegemahl, auch wenn er einfältig ist, und Kinder, welche sie über den Mann und Vater hinwegtrösten könnten. Meine selbstlosen Gefühle dauerten indes nur einen kleinen Augenblick, ist es doch schier unmöglich, Wünsche gegen die Stimme des eigenen Blutes zu hegen. Es wäre Selbstbetrug gewesen, hätte ich länger als eine Viertelminute den Edelmütigen spielen wollen und Angelina andere Kinder als von mir selbst, von meiner großen Liebe gewünscht. Schon der bloße Gedanke daran erdrückte mir schier das Herz.
Ich weiß nicht, wie viele Stunden der Schmerz mir im Kopf hämmerte, indes ich bald auf mein schmales Lager hingestreckt lag, das Angesicht in den Armen vergraben, bald in meinem Kämmerchen auf und ab ging, ohne daß ich bemerkte, wie die Sonne versank, so dunkel war alles in mir. Hin und wieder blickte ich durch das Fenster auf den Friedhof der Unschuldigen Kindlein, als gelüste es mich in der Blüte meiner Jugend nach dem Vergehen in Verwesung.
Es klopfte an der Tür. Ich öffnete mit zitternden Knien. Es war mein schöner Samson, welcher mich sogleich in seine Arme schloß, denn er hatte von Fogacer gehört, daß ich meine Angelina nur wiedergefunden, um sie alsbald von neuem zu verlieren. Auch Gertrude du Luc, welche Samson gefolgt war, trat herein und fragte nach Grund und Ursache der Tränen, die er vergoß; mich niedersetzend, weil meine Knie ohne Kraft waren, gab ich mit matter, trauriger Stimme einen recht wirren Bericht von dem Geschehenen. Da Samson mich nun so untröstlich in meinem Kummer sah, vermochte er seine Tränen nicht zu stillen, worauf auch Gertrude das Wasser in die Augen trat. Sie glitt vor mir zu Boden, ihre Vertugade legte sich wie ein Blütenkranz um sie, und sie versuchte, meine beiden Hände in die ihren nehmend, mich wie ein Kind mit so zarter, fraulicher Sanftheit zu trösten, daß ich ganz verwundert war, denn das Übermaß ihrer sinnlichen Begierden hatten mich bezweifeln lassen, ob sie solcher Regungen fähig sei. Mein Unglückfast vergessend über dem Gefühl des Unrechts, welches ich ihr in Gedanken angetan, zollte ich ihr wieder die ganze Hochachtung, die ich für sie empfunden, ehe sie meinen Samson mit Cossolat betrogen; mein Sinneswandel, den sie sogleich von meinen Augen ablas, erfüllte sie mit Freude über die beseitigte Mißhelligkeit, und ich begriff schließlich, daß ich ihr meine Freundschaft schenken müsse, ohne ihr die Ausschweifungen (daran sie sicherlich wenig Schuld trug) und die Schmeicheleien zu verübeln, mit denen sie jeden Mann, selbst einen Bruder (wie sie mich nannte), umgab. Und daß sie meine Schwester war, ohne Verstellung und Hintergedanken, offenbarte sich mir deutlich, als
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