Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
kamen die Damen aus dem Haus, um in die Kutsche zu steigen …«
»Was! du hast sie gesehen?« rief ich.
»Und mit ihnen gesprochen«, fuhr Miroul fort, »indessen Monsieur de Montcalm Euch im Hause hinhielt.«
»Und das sagst du erst jetzt, Miroul?«
»Moussu, habt Ihr mir nicht hundertmal geheißen zu schweigen, wenn Ihr Euern Gedanken nachhängt?«
»Ha, Miroul, welche Geduld …«
»Ich erblickte sie also, trat sogleich vor sie hin und vollführte, rückwärts bis zur Kutsche gehend, ich weiß nicht wie viele gar tiefe Verbeugungen, bis schließlich Jungfer Angelina ausrief:
›Aber das ist doch Miroul! Wo ist dein Herr, Miroul?‹
›In Euerm Haus drinnen, Madame‹, erwiderte ich mit einer erneuten Verbeugung, ›bei Monsieur de Montcalm, doch nach dem kühlen Empfang zu urteilen, bezweifle ich, daß man ihn zu Euch läßt.‹
›Frau Mutter!‹ rief da unsere Jungfer aus, indes ihre dunklen Augen vor Zorn Feuer zu sprühen schienen, daß sie ganz wunderbarlich in ihrem Blitzen anzusehen waren, deshalb also das Geflüster und die große Eile, so daß Ihr Euch nicht einmal zu Ende schminken konntet. Es ist eine Schande: wir fliehen vor dem Manne, der uns gerettet!‹
›Picot!‹ sprach da Madame de Montcalm mit bleichem, verschlossenemGesicht zu ihrem Pagen, ›öffne den Verschlag, und Ihr, Jungfer Tochter, steiget ein!‹
›Frau Mutter‹, erwiderte Madame Angelina mit einem Knicks, doch erbitterten Tones, ›ich füge mich Euerm Willen. Miroul‹, so setzte sie, zu mir gewandt, hinzu, ›sag deinem Herrn, daß ich die Undankbarkeit, mit der man ihm hier begegnet, mißbillige und daß ich, seine Person betreffend, meinen Sinn nicht geändert habe.‹
›Meine Tochter‹, sprach darauf Madame de Montcalm, ›was sprecht Ihr da? Ihr gehöret bereits Herrn de la Condomine!‹
›Nichts von mir gehört diesem Edelmann‹, erwiderte Jungfer Angelina, den Fuß auf dem Kutschentritt und sich in ihrer ganzen Größe stolz aufrichtend, ›und nichts wird er von mir bekommen, weder meine Hand noch ein Wort, nicht einmal einen Blick auf der Fahrt von hier bis Barbentane.‹
Darauf schwang sie sich, bebend vor Zorn, in die Kutsche. Doch ihre Vertugade blieb am Wagenschlag hängen, und indes sie wütend daran zog, riß ihr schöner Seidenrock über eine Länge von drei Zoll auf.
›Was habt Ihr angerichtet?‹ rief Madame de Montcalm. ›Euer Rock ist aufgerissen!‹
›Oh, wäre er doch ganz zerrissen‹, schrie Dame Angelina mit zornesrotem Gesicht und blitzenden Augen, ›und könnte ich auch noch die Kutsche zertrümmern, damit ich nicht mit dem besagten Herrn auf Reise gehen muß!‹
›Jungfer Tochter, jetzt geht Ihr zu weit!‹ schrie Madame de Montcalm. ›Euer Vater wird Euch in ein Kloster stecken!‹
›Das wäre mir nur recht‹, zischte Angelina, ›ich würde dort keine Speise anrühren, bis ich des Hungers stürbe, fern von gewissen Leuten, deren Undank ich verabscheue.‹
›Nun schweigt aber still!‹ befahl Madame de Montcalm.
Worauf sie selbst, mit beiden Händen ihren Reifrock raffend, in die Kutsche einstieg und meinen Blicken entzogen war, denn der Page Picot ließ sogleich den Vorhang an der Tür herab. Auch wenn der Streit, wie ich vermeine, in der Kutsche weiterging, so drang doch kein Wort mehr zu mir. Ich stieg also wieder auf mein Pferd, wo ich schweigend verharrte, bis ich sah, wie Ihr Euch den Geleitknecht vom Leibe halten mußtet, welcher Euch mit seinem Gaule niederreiten wollte. Mit gezogenem Degen ritt ich sogleich hinter ihm her, und was Ihr mitder flachen Klinge so gut begonnen, vollendete ich, indem ich seinem Gaul den Degen einen halben Zoll tief in die Hinterbacke senkte, worauf der so ungestüm losgaloppierte, daß er wohl erst am Ende der Welt wieder zum Stehen kam.
Dieses war mein Bericht«, endete Miroul treuherzig und fügte mit einem Ausdruck übergroßer Bescheidenheit in seinen zwiefarbigen Augen hinzu: »Ob er nun dreist war oder nicht, weiß ich nicht zu sagen.«
»Oh, Miroul!« rief ich, mich erhebend, und umarmte ihn halb lachend, halb weinend, »du bist der beste, der klügste und schelmischste Diener, und du hast mir gar großen Trost verschafft!«
»Mein Bruder«, sprach da Samson mit einigem Zweifel in seinen azurblauen Augen und einer Träne an den schwarzen Wimpern, »wird Jungfer Angelina im Kloster wirklich den Hungertod sterben wollen? Das wäre eine große Sünde gegen unseren Herrgott!«
»Aber nein!« erwiderte Miroul. »Viel gedroht,
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