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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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der Kirche, bei der ich einen aufgeweckten Knaben in Bedientenkleidung sah, der dort in die Luft guckte.
    »Einen Sol für dich, Bürschlein«, sprach ich zu ihm, »wenn du mich zum Hause des Herrn von Quéribus führst.«
    Der Knabe ließ sich Zeit mit der Antwort, um erst einmal einen jeden von uns neugierig zu betrachten. Da ihm unsere schmutz- und staubbedeckten Kleider wie auch unsere stoppelbärtigen Gesichter ganz ohne Zweifel nur wenig gefielen, zog er sich hüpfend zum Kirchenportal zurück und sprach dann, bereit, sich durch weitere Flucht vor uns in Sicherheit zu bringen:
    »Ich weiß nicht, Herr, ob ich das tun sollte. Ich habe wenig Lust, mir wegen einer Unvorsichtigkeit das Fell gerben zu lassen. Was begehrt Ihr von Monsieur de Quéribus?«
    »Ich bin Pierre de Siorac.«
    »Pierre de Siorac!« rief der Bengel, indes sein sommersprossiges Gesicht sich aufhellte, »aus der Rue de la Ferronnerie bei Meister Recroche? Ei, Herr, an Euch habe ich einen Brief überbracht. Wenn es Euch beliebt, edeler Herr, dann reicht mir Eure Hand und laßt mich hinter Euch aufsitzen, so werden wir schneller vorankommen, als wenn ich vor Euch herlaufe.«
    Am Ziele angelangt, öffnete sich durch das bloße Erscheinen des kleinen Burschen das starkbewehrte Tor wie auf ein Zauberwort, uns Einlaß gewährend in ein Anwesen, das mit seinen hohen Mauern eher einer kleinen Burg glich, und so war besagtes Tor noch durch ein starkes eisernes Fallgatter geschützt, welches ich mit Vergnügen unter lautem Gerassel hinter uns herabfahren hörte. Oh, Leser, mögest du dich darüber nicht verwundern. Für dich ist ein eisernes Fallgitter gewißlich gleichbedeutend mit Kerker, doch für mich, in meiner Lage, war es die Verheißung eines sicheren Zufluchtsortes, war schon Mespech, mein zinnenbewehrtes heimisches Nest, der Schoß von Barberine! Du wirst es kaum glauben, doch in Paris, gehetzt von Straße zu Straße in jener grausamen Verfolgungsjagd, hätte ich liebend gern Zuflucht genommen in einem Löwenzwinger! Ich will damit nicht sagen, daß die Raubkatze sich auf Dauer mit meiner Gesellschaft abgefunden hätte, doch hätten die Gitterstäbe seines Käfigs mich wenigstens vor den Menschen geschützt.
    »Mein edler Herr«, sprach nun der kleine Bedienstete und zog seine sommersprossenbedeckte kleine Nase kraus, »geruhet jetzt, hier zu verweilen. Ich werde meinen Herrn rufen.«
    Nach welchen Worten er leicht wie ein Vögelchen zur Freitreppe flatterte und verschwand. Meine Gefährten und ich betrachteten uns stumm, ohne ein Wort hervorbringen zu können, halb tot vor Hunger, Durst und Müdigkeit, die Sinne wie verwirrt und betäubt von all den Schrecken, die unsere Augen im Übermaß geschaut. Und unfähig zu glauben, daß wir nunmehr in Sicherheit seien und nicht von neuem die grausame Hatz anheben könne, so daß wir uns wieder zur Flucht wenden müßten.
    Da sprang plötzlich, nachdem eine Tür geklappt, mein Quéribus die Freitreppe herab und auf uns zu, gesalbt, wohlriechend und beringt, eine pendelnde Perle am rechten Ohr,angetan mit einem prächtigen Wams von gelbem Satin, das Haar gelockt, das glatte Gesicht strahlend vor herzlicher Freundschaft, obgleich er, abgeschreckt von meinem Aussehen, mich um keinen Preis der Welt in seine Arme geschlossen hätte.
    »O mein Pierre!« rief er, »mein Bruder! mein anderes Ich! Wie übel mitgenommen seht Ihr aus!
Bei meinem Gewissen!
Voller Schmutz! Voller Kot! Voller Blut! Aber Ihr lebt, Gott sei Dank! Ihr lebt!« fuhr er fort und schien mich umarmen zu wollen (doch konnte er sich wegen des Gestanks, der von mir ausging, nicht überwinden und zuckte zurück). »Maestro Giacomi«, sprach er sodann, einen Schritt zurückweichend, »Euer ergebenster Diener. Miroul, sei gegrüßt, wackerer Diener. Mein Pierre, gehören diese beiden da auch zu Eurer Begleitung?«
    »Dem ist so.«
    »Ein Willkommen also dem Riesen und der blonden Jungfer«, sprach er darauf mit einer anmutigen Bewegung seiner beringten Hand. »O Pierre!« hub er wieder an, immer Abstand von uns wahrend und unversehens aus vollem Halse lachend,
» bei meinem Gewissen,
Ihr stinkt zum Gotterbarmen!
Ich könnte vergehen.
Wollt Ihr ein Bad nehmen?«
    »Gewiß, doch zuvörderst essen und trinken!«
    »Bei Gott, Ihr sollt alles haben, was Euer Herz begehrt!« rief Quéribus mit einer Stimme, die immer mehr in die Höhe stieg. »Holla, man bringe Badezuber herbei! Man rufe die Hausmägde! Man erhitze Wasser! Ein jeder möge sich tummeln!

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