Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Verteidigungshaltung einnehmen? »Ich wollte nur wissen, wo er herkommt.«
»Dan Sommerdahl hat ihn vor fünf Minuten gebracht.«
»Ist er wieder gegangen?«
»Ja, sofort. Hat nur gesagt, dass der Umschlag umgehend auf deinen Schreibtisch befördert werden soll.« Pause. »Ich habe nur getan, was er mir gesagt hat.«
»Ja, ganz ausgezeichnet«, sagte Flemming abwesend und legte den Hörer auf. Dan musste wirklich sauer sein, wenn er die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch nicht nutzte. Flemming öffnete den Umschlag und breitete den Inhalt über seinem Schreibtisch aus. Eine DVD in einer durchsichtigen Kunststoffhülle, die nur mit dem Wort »Sklavin« beschriftet war, und ein handgeschriebener Brief. Das war alles.
Flemming fing an zu lesen, während er seinen Computer hochfuhr.
»Regitze Jung?« Dan hatte sein entwaffnendstes Lächeln aufgesetzt. Dem seiner Meinung nach nicht zu widerstehen war.
Die Frau in der Tür schien das nicht so zu sehen. Sie schob die rote Brille den Nasenrücken hinauf und sah ihn an, ohne zu antworten.
»Dan Sommerdahl«, stellte er sich vor und streckte die Hand aus. »Ich bin der Ehemann von Marianne.«
»Ah ja«, entgegnete sie und erwiderte den Händedruck. »Entschuldigung. Ich habe Sie nicht gleich wiedererkannt. Was kann ich für Sie tun?«
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
»Worüber?«
»Darf ich reinkommen?« Selten hatte er sich so unwillkommen gefühlt.
»Man nennt Sie den kahlköpfigen Detektiv, nicht wahr?« Sie trat einen Schritt beiseite, um ihn vorbeizulassen.
»Das habe ich mir jedenfalls nicht selbst ausgedacht«, sagte er.
»Sicher nicht, aber es stimmt doch, dass Sie mit der Polizei zusammenarbeiten, oder?«
»Nicht direkt.«
Sie ging voraus in das ausgesprochen geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer. Jedes einzelne Möbelstück hätte von der dänischen Oberschicht bei einer landesweiten Abstimmung ausgewählt worden sein können.
Wer ist für eine Designer-Pendellampe in Weiß? Zweiundachtzig Prozent. Okay, wir nehmen sie. Wer will Arne Jacobsens berühmten Stuhl »Das Ei«. Siebenundsechzig Prozent. Bezug in hellem Leder? Einundfünfzig Prozent. Oder schwarz? Dreiunddreißig Prozent. Dann nehmen wir das helle Leder …
Und so ging es weiter. Mogensens Gittersofa, weiße Montana-Regale, Bojesens Teak-Affe, eine schwarze Stelton-Kanne. Der sichere Geschmack. Der risikofreie Geschmack. Die Versicherung, nie selbst denken zu müssen. Dan hatte das Gefühl, als ereilte ihn ein mehrfaches Déjà-vu. Er war kurz davor, sich nach einer Kuckucksuhr zu sehnen.
»Was wollen Sie?«
»Mich ein wenig mit Ihnen unterhalten.«
»Hat Marianne Sie zu mir geschickt?«
»Im Gegenteil. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, dann hat sie mir ausdrücklich verboten, mit Ihnen zu sprechen. Ich habe ihr sogar versprochen, es nicht zu tun.« Er lächelte versuchsweise. »Und ich bekomme den Hintern voll, wenn sie es erfährt.«
Regitze biss nicht an. »Warum um alles in der Welt sind Sie dann gekommen?« Ihre Wangen waren noch immer blass, aber jetzt zeigten sich zwei runde rote Flecken ganz oben an ihren Jochbeinen.
»Beruhigen Sie sich. Ich habe das Gefühl, dass Sie mir bei einer Sache helfen können.«
»Sie sind mir auch gestern gefolgt, nicht wahr?«
Dan zögerte einen Moment, entschloss sich dann aber, die Wahrheit zu sagen. Er nickte.
»Wollen Sie mich erpressen?«
Dan wandte ihr den Kopf zu, fing ihren Blick. Angst leuchtete aus ihren Augen. »Sie erpressen? Aber nein. Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Vielleicht kann ich Ihnen sogar helfen.«
»Sie?« Regitze ging in die Küche und klapperte mit ein paar Tassen und einem Elektrokocher.
Dan setzte sich auf eines der karierten Gittersofas. Er war müde. Diese Geschichte ging ihm unter die Haut, und er wusste nicht, wieso. Vielleicht, weil er den Umriss von etwas ahnte. Etwas, das ihm sehr nahe kam, ihn so umgab, als wäre er der einzige Mensch auf der Welt, der sehen konnte, was um ihn herum vor sich ging. Es gab so viele Schichten, und jedes Mal, wenn er ein Loch in eine der Lagen bohrte, zeigte sich die nächste Schicht. Dan überlegte einen Moment, ob dieses Gefühl der Isolation etwas mit seiner Depression zu tun haben könnte. War es Paranoia, oder war es einfach so, wie es war? Er schüttelte den Kopf und versuchte, sich zu konzentrieren.
Regitze stellte eine japanische Steingut-Teekanne und zwei schwarze Teetassen ohne Henkel auf den Tisch. »Zucker, Milch?«, fragte sie.
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