Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Underberg-Fläschchen in Brunes Nachttischschublade.
Vor dem Haus Gørtlergade Nr. 8 saßen zwei Männer in einem Lieferwagen. Der etwas unbequeme Treffpunkt war gewählt worden, um ungebetene Mithörer auszuschließen. Nun mussten sie sich damit abfinden, mit Anstand zu frieren. Im Wagen war es so kalt wie in einem Leichenschauhaus.
»… die Untertexte sollen wie ein Band am unteren Bildrand durchlaufen. Also nicht zwei starre Zeilen, die hin und wieder wechseln, sondern ein durchlaufendes Band, wie bei Leuchtschriftbändern.«
»Ist aber schwierig zu lesen.«
»Dann geht die Verständlichkeit in diesem Fall eben zulasten der Ästhetik. Die Leute werden die Botschaft trotzdem begreifen. Du hast es doch auch verstanden, oder? Und du hast es nicht mal mit englischen Untertexten gesehen.«
Dan zuckte mit den Achseln. René Holgersen hatte natürlich recht. Außerdem konnte man nicht die üblichen Parameter anlegen, wenn man einen Werbespot im Netz beurteilen wollte. Das hatte er schon mehrfach erlebt. Vor allem bei YouTube und ähnlichen Seiten, die ein junges Publikum als Zielgruppe erreichten. Die Reaktionen waren nicht vorhersehbar. Einige Spots waren innerhalb weniger Minuten vergessen und mausetot. Andere machten eine Band weltberühmt, bevor sie überhaupt ihr erstes Album auf dem Markt hatte. Wie die Arctic Monkeys. Ihre Geschichte war nahezu legendär, und sie hatten nicht einmal viel Geld für die Netzkampagne geopfert, die ihr Dasein auf den Kopf stellen sollte.
»Wer soll es übersetzen, an wen hast du gedacht?«, erkundigte sich Dan.
»Ich habe zwei Übersetzerinnen gefunden. Eine studiert Estnisch an der Universität, die andere ist eine Nigerianerin, die ausgezeichnet Englisch spricht. Sie wohnt hier in der Stadt und kannte Sally und Lilliana übrigens gut.«
»Wie heißt sie?«
»Jo.«
»Ich würde gern mit ihr reden.«
»Vergiss es. Die Kriminalpolizei hat sie geradezu adoptiert. Seit ihrer ersten Vernehmung gestern Morgen hat niemand sie mehr erreichen können.« René schaute aus dem Fenster des Wagens und biss sich auf die Lippe. »Ich hoffe nur, dass sie die Übersetzung anfertigen kann, bevor sie aus dem Land geschmissen wird«, sagte er. »Verflucht, ich kenne nicht so viele Nigerianerinnen.«
»Was meinst du mit rausgeschmissen?«
René Holgersen drehte sich ehrlich erstaunt zu seinem Chef um. »Du willst mir doch nicht erzählen, dass du das nicht verstanden hast?«
»Kommt darauf an, was du mit ›das‹ meinst.«
»Alle diese Mädchen, also Sally, Lilliana, Jo und alle anderen auch, die sind vor irgendetwas auf der Flucht. Vor einem Zuhälter, einem gewalttätigen Freund, irgendwelchen religiös-orthodoxen Eltern oder so etwas. Oder nur vor der Ausländerbehörde. Ausnahmslos.«
»So weit ist es mir klar.«
»Ein großer Teil dieser Frauen wurde irgendwann in ihrem Heimatland verkauft oder mit falschen Versprechungen hierhergelockt. Wenn sie jemals ein Touristenvisum hatten, dann ist es längst abgelaufen. Sie halten sich illegal in Dänemark auf. Das Problem ist nun, dass diese Mädchen nicht zur Polizei gehen und um Schutz bitten können, wenn sie aus dem Bordell fliehen, in dem sie gefangen gehalten wurden. Sie könnten es natürlich schon. Aber nach drei Monaten würde man sie dann nach Hause schicken, obwohl die Behörden ganz genau wissen, dass sie am Flughafen von ihren ›Besitzern‹ in Empfang genommen und mit dem nächsten Flugzeug nach Europa zurückgeschickt werden. In ein Bordell. Vielleicht nicht nach Dänemark, dafür aber in die Niederlande, nach Deutschland …
you name it
.«
»Ich habe davon gelesen. Fürchterlich.«
»Ja, das ist es. Und es gibt viele, die dieser Ansicht sind. Die Organisation, die hinter den Kurzfilmen steht, die du gesehen hast, nennt sich Chick Support Global. Klingt vornehmer, als es ist. Es ist eine Art Wohltätigkeitsverein, in dem wir uns nicht damit begnügen, Strickhandschuhe oder einen Verrechnungsscheck in Entwicklungsländer zu schicken. Wir helfen auch praktisch, wir helfen den Mädchen, die hier im Land sind und gern hier bleiben wollen.«
»Wir?«
»Tatsächlich weiß ich nicht sehr viel mehr, als ich dir gerade erzählt habe. Wir halten keine Versammlungen ab. Chick Support ist eher ein Netzwerk als ein Verein. Niemand kennt mehr als einen oder zwei der anderen Mitglieder – eben weil es nicht ganz legal ist, was wir machen. Aber wir helfen alle mit dem, was wir am besten können. Ein paar Leute beschaffen
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