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Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Titel: Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Grue
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dem, was Sie mir erzählt haben, vor der Polizei geheim halte.«
    Regitze saß eine Weile mit gesenktem Kopf stumm auf dem Sofa. Dann schaute sie ihren Gast direkt an. »Ich habe mich geweigert, dem Netzwerk zu helfen. Viele Male.«
    »Wer hat Sie gefragt?«
    »Elisabeth Lund. Wir kennen uns ein wenig. Sie ist seit vielen Jahren meine Patientin.« Regitze nahm die Brille ab und begann, sie langsam und methodisch zu putzen. »Deshalb hat sie mich gefragt. Sie hat mir vertraut, sie wusste, wo meine Sympathien liegen.«
    »Ihre politischen Sympathien?«
    Ein Schatten flog über ihr Gesicht. »Warum glauben alle, das Bedürfnis, anderen zu helfen, hätte etwas mit Politik zu tun? Es gibt eine Unmenge von stockkonservativen oder ultraliberalen Menschen, die jederzeit einem Menschen in Not helfen würden.« Sie setzte die Brille wieder auf. »Was ich meine, ist, dass sie meine mitmenschlichen Sympathien kannte, meine Humanität. Verstehen Sie das?«
    »Natürlich. Sie müssen mich deshalb nicht beißen.«
    »Entschuldigung.« Regitze schwieg eine Weile. Sie hob ihre Schultern und ließ sie wieder fallen – wahrscheinlich, um sich zu entspannen. Nanna beobachtete ihre Mutter. »Nun, wie gesagt, als Elisabeth Lund mich fragte, habe ich beim ersten, beim zweiten und beim fünften Mal abgelehnt, obwohl ich natürlich großes Verständnis für die Sache hatte. Ich wollte nicht all das riskieren, was ich ein Leben lang aufgebaut hatte. Mein Leben hier …«, sie machte eine Handbewegung, die sämtliche Designer, Poul Henningsen, Mogensen und Bojesen, gleichermaßen umfasste, »… meine Arbeit, meine Ehe. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel.«
    »Hat sie es mit Geld versucht?«
    »Dazu ist Elisabeth viel zu klug«, erwiderte Regitze. »Wenn es um Geld gegangen wäre, hätte ich das Angebot niemals angenommen. Nein, sie war weitaus raffinierter. Sie hat mir Fotos gezeigt.«
    »Fotos?«
    »Fotos von Frauen, die von ihren Zuhältern bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschlagen worden waren; Fotos von jungen Mädchen, die durch anale Vergewaltigungen Risse im Enddarm davongetragen hatten; Fotos von Frauen, deren Körper mit Brandnarben übersät waren, verursacht durch Zigarettenkippen. All diese Frauen hatten drei Dinge gemeinsam: Sie waren Ausländerinnen, wohnten heimlich in Christianssund und wagten es nicht, sich um irgendeine Form von Hilfe bei den Behörden zu bemühen, weil sie Angst hatten, aus Dänemark ausgewiesen zu werden.« Sie schüttelte sich. »Es war hart, und ich fing an, Elisabeths Besuche in meiner Sprechstunde zu fürchten. Ich überlegte stundenlang, wie ich sie als Patientin loswerden könnte. Und gleichzeitig hatte ich ja meine eigenen Probleme. Und ja, ich sage bewusst ›ich‹. Mein Mann hat sich nie sonderlich beteiligt. Nanna wurde während ihrer Kindheit und Jugend mit allen möglichen Methoden behandelt, damit sie als Erwachsene ein Leben wie alle anderen Frauen führen kann. Als Kind bekam sie Wachstumshormone, damit sie ein bisschen größer wurde als andere Kinder mit Turner-Syndrom; als Jugendliche bekam sie Geschlechtshormone, damit sie sich wie Gleichaltrige entwickelte und um als Erwachsene ein normales Sexualleben haben zu können.«
    »Mutter!« Nannas Wangen standen in Flammen.
    »Entschuldige, Liebling, auch das gehört zur Geschichte, oder? Wir ließen Nannas Zähne regulieren, und als sie die ersten Symptome einer Hörschwäche zeigte, bekam sie sofort ein gutes Hörgerät.« Regitzes Hand fand Nannas und hielt sie fest. »Ich habe immer gut auf mein kleines Mädchen aufgepasst. Nur bei einer Sache konnte ich ihr nicht helfen. Mädchen mit dem Turner-Syndrom können keine Kinder bekommen. Ermöglichen konnte das nur eine Adoption oder eine Eizellentransplantation.« Pause. »Und was glauben Sie, wie sich die Behörden einer alleinstehenden Frau mit vermindertem Hörvermögen gegenüber verhalten, die ein Kind adoptieren will, noch dazu, wenn sie einen Herzfehler hat, der zwar unbedeutend, aber dennoch vorhanden ist?«
    Nanna zog ihre Hand zurück. »Du musst doch nicht alles erzählen!«, rief sie. »Das klingt ja, als sei ich ein Freak!«
    »Es gehört zur Geschichte«, wiederholte ihre Mutter. »Tut mir leid. Tja, eines Tages rief dann Elisabeth an und bat mich beinahe unter Tränen um Hilfe. Eine neue Frau war in die Stadt gekommen. Sie hieß Lilliana, und wie sich herausstellte, war sie im fünften Monat schwanger, für eine Abtreibung war es viel zu spät. Elisabeth bat mich um

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