Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
ertönte.
Dan räusperte sich: »Was ist dann passiert?« Er hielt die Pause nicht länger aus.
»Nach gut zwei Jahren kam er raus, und eine Woche später hatte er sie aufgespürt.«
»Aber wie war das denn möglich?«
»Dazu kommen wir noch. Auf jeden Fall tauchte er plötzlich auf, als sie eines Nachmittags mit den Kindern in die Wohnung wollte. Als Erstes hat er Alice durchsucht, ihr Handy und den Alarmknopf gefunden und sofort konfisziert. Es dauerte nur wenige Sekunden, und Alice hatte überhaupt keine Chance, sich zu wehren. Dann begann er die Charmeoffensive. Er hatte Star-Wars-Spielzeug für die Jungen mitgebracht, und vor allem der Jüngste, Philip, freute sich, seinen Vater zu sehen. Benjamin konnte sich noch gut an ihn erinnern und reagierte deutlich verhaltener.«
»Ich bin vor Schreck fast gestorben«, sagte Benjamin.
»Das überrascht mich gar nicht.« Marianne sah ihn freundlich an. »Du hast das einzig Vernünftige getan.«
Benjamin stand auf: »Darf ich mir ein Bier holen?«
»Ja, sicher.« Dan folgte ihm. »Möchte noch jemand eins?«
Alice und Marianne nickten, einen Augenblick später hatten alle ein Tuborg Classic vor sich stehen.
»John versuchte natürlich, sich auch bei Alice wieder einzuschleimen«, berichtete Marianne weiter. »Aber diesmal fiel sie nicht auf ihn herein. Sie bat ihn, auf der Stelle zu verschwinden und sie in Ruhe zu lassen. Sie dachte, es sei nicht gefährlich, sich zu widersetzen, solange er nüchtern war. Doch wie sich herausstellte, war er nicht wegen Alice gekommen. Ihre Beziehung war definitiv vorbei, und das hatte er offenbar akzeptiert. Er wollte die Jungen. Alice war schockiert, dass er überhaupt auf einen derartigen Gedanken kam. Natürlich endete es in einem wüsten Streit, und Benjamin lief vor Angst in sein Zimmer.«
»Ich hätte Philip mitnehmen sollen«, murmelte Benjamin, der seine Ecke verlassen hatte und nun auf der Armlehne des Sofas saß, neben Alice.
»Du warst neun Jahre alt. Für das, was passiert ist, trägst du wirklich keine Verantwortung«, widersprach Marianne. »Philip spielte am Küchentisch mit seiner Chewbacca-Figur. Er war erst sechs. Ich weiß nicht, wie viel er verstanden hat, aber Alice hat mir mehrfach erzählt, dass er ihrer Ansicht nach keine Angst hatte.« Sie legte einen Arm um Alice, und die inzwischen vollkommen aufgelöste Frau verbarg ihren Kopf an Mariannes Schulter. »Um die Geschichte abzukürzen – John schnappte sich plötzlich Philip und rannte mit ihm zum Auto. Alice lief hinterher, aber John war zu schnell. Er warf den Jungen auf den Beifahrersitz, verriegelte die Türen und hatte den Motor angelassen, bevor Alice auch nur den Wagen erreicht hatte. Als sie sah, dass er vom Parkplatz fahren wollte, nahm sie eine Abkürzung und erwischte ihn an der Ausfahrt. Sie rannte vors Auto, um ihn zum Anhalten zu zwingen, aber John fuhr einfach weiter. Er bremste nicht einmal, sondern trat das Gaspedal durch, rammte sie und verschwand dann, während sie blutend und bewusstlos auf der Straße liegen blieb.«
»Ich habe erst mitgekriegt, was passiert war, als die Polizei und ein Krankenwagen gekommen sind«, schaltete sich Benjamin ein. »Ich konnte sie von meinem Fenster aus sehen. Ich wusste, dass er und Philip weg waren, und bekam Angst. Als ich nach unten gelaufen bin …« Seine Stimme versagte, Marianne musste wieder übernehmen.
»Benjamin kam in ein neues Kinderheim, während Alice im Krankenhaus lag. Diesmal hatte sie einen Schädelbruch und lag mehrere Wochen im Koma. Hinterher musste sie lange in die Reha. Inzwischen geht es dir wieder einigermaßen gut, nicht wahr, Alice?« Alice nickte, ohne den Kopf zu heben. »Aber sie kann keine normale Arbeit mehr verrichten, hat chronische Kopfschmerzen und bekommt hin und wieder heftige Krampfanfälle«, berichtete Marianne weiter. »Deshalb wohnt Benjamin noch immer bei ihr. Ihr passt zueinander, nicht wahr?« Wieder nickte Alice.
»Und Philip?« Dans Stimme klang etwas zu laut, fand er.
Marianne legte auch den anderen Arm um Alice, als wollte sie sie doppelt schützen. »John hatte einen Unfall, als er von Alice floh. Möglicherweise war Philip klar geworden, dass irgendetwas nicht in Ordnung sein konnte, als sie seine Mutter angefahren hatten, jedenfalls erklärte John dem Gericht später, der Junge habe plötzlich ins Lenkrad gefasst, sodass sie auf die entgegengesetzte Fahrbahn geraten seien. Ein Lieferwagen rammte den Wagen mit voller Fahrt schräg von vorn,
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