Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
stand.
Und ganz richtig. Kjeld Hanegaards Blick flackerte eine Sekunde, dann sagte er: »Wie sieht die Sache denn aus deiner Sicht aus, Torp?« Er räusperte sich. »Bevor ich mir ein Urteil bilde, muss ich ja alle Fakten kennen.«
Flemming unterdrückte ein Lächeln. Bisweilen war Hanegaard schon sehr einfach auszurechnen. »Ich bin mir fast sicher, dass es um Dan Sommerdahl geht?« Flemming wartete das Nicken seines Chefs ab, bevor er fortfuhr: »Die Geschichte ist ganz simpel.« Er stand auf und schenkte beiden eine Tasse Kaffee ein, dann setzte er sich auf einen der Stühle, die näher beim Hauptkommissar standen. »Ich kenne Dan jetzt beinahe mein ganzes Leben lang, und wir waren immer die besten Freunde. In jedem Fall ist er der Mensch, dem ich auf der Welt am meisten vertraue. Jetzt ist es raus.« Er blickte seinem Vorgesetzten in die Augen. »Wie du vielleicht von Lone Willumsen weißt, ist Dan Angestellter der Werbeagentur Kurt & Ko; er ist momentan allerdings für einige Zeit krankgeschrieben. Stress. Davon gibt es reichlich, auch in dieser Branche.« Flemming trank einen Schluck Kaffee. »Montagabend war ich zum Abendessen bei Dan und seiner Frau. Als gegen halb zwölf das Telefon klingelte, hatte ich mir gerade den Mantel angezogen, ich wollte mich nur noch verabschieden und dann nach Hause gehen. Zu Fuß. Ich hörte, dass man an Dan Sommerdahls Arbeitsplatz eine tote Frau gefunden hatte. Das einzig Logische war, ihn mit dorthin zu nehmen, oder?« Diesmal kam das Nicken des Hauptkommissars ein wenig zögerlich, aber Flemming fuhr ungerührt fort: »Dan konnte uns sofort sagen, wer das Opfer war, und da er sich nun schon einmal am Tatort befand, gab er uns eine Menge nützlicher Informationen, zum Beispiel über das Zugangssystem. Er hat uns dadurch einige Stunden Arbeit erspart. Am Tag darauf habe ich ihn dann um ein rasches Briefing über die Personen gebeten, die das Opfer mit großer Wahrscheinlichkeit kannten.«
»All das weiß ich doch«, sagte Kjeld Hanegaard ungeduldig. »Und damit habe ich auch gar kein Problem. Ich vermute, du weißt, was du tust. Was ich eigentlich mit dir besprechen will, ist, dass Sommerdahl …«
»Lass mich zu Ende berichten«, unterbrach ihn Torp. »Da standen wir also mit einer Leiche, von der wir nur den
eventuell
richtigen Vornamen kannten, und in dieser Situation bekamen wir ein weiteres Geschenk von Dan Sommerdahl. Durch eine
einzigartige
Initiative …« Trug er zu dick auf? Nein, es sah wirklich so aus, als ob der Hauptkommissar es schluckte. »… fand Dan heraus, wo die Tote gewohnt und mit wem sie zusammengewohnt hat.«
»Ja, ja, schon, aber …«, versuchte Kjeld Hanegaard es noch einmal.
»Und wäre er nicht mit mir in der Wohnung gewesen, hätte es lange dauern können, bis wir herausgefunden hätten, dass die Tote einen heimlichen Geliebten hatte.«
»Ja, aber …«
»Dan hat uns mit anderen Worten bei vielen Dingen sehr geholfen«, fügte Flemming hinzu. »Und er ist sich sehr wohl bewusst, dass er gestern eine gewaltige Dummheit begangen hat, als er sich bei Merethe Finsens Schwester verplappert hat. Deswegen habe ich ihn mir auch zur Brust genommen, aber ich habe keinen Grund gesehen, darüber mit Willumsen zu reden. Wahrscheinlich hat sie deshalb eine solche Wut im Bauch.«
Der Hauptkommissar erhob sich. »Es reicht jetzt, Torp!« Er legte seine Ledermappe auf den Tisch und öffnete sie. »Gib mir doch um Himmels willen die Chance, dir zu sagen, worum es eigentlich geht. Ja, Lone Willumsen hat sich beschwert, ich habe ihr erklärt, dass du die Ermittlungen leitest und ich mich auf deine Urteilskraft verlasse. Diesen Teil der Angelegenheit kannst du als ausdiskutiert betrachten.«
Flemming spürte, wie sich ein überraschtes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Aber Kjeld Hanegaard holte ihn rasch zurück auf den Boden. »Du hast überhaupt keine Veranlassung, so dämlich zu grinsen«, fuhr er ihn an, zog eine Boulevardzeitung aus der Tasche und warf sie Flemming so ungeschickt zu, dass die Seiten auseinanderflatterten. Ein unüberschaubares Loseblattsystem bedeckte den größten Teil des Besprechungstisches. Hanegaard ging zur Tür. »Ich würde es begrüßen, wenn dein kluger Freund die Polizei von Christianssund nicht dümmer aussehen ließe, als sie ist.« Mit einer Kopfbewegung wies er auf die Zeitung, die Flemming hastig zusammenlegte. Als es ihm endlich gelungen war, hatte Kjeld Hanegaard den Raum bereits verlassen.
Flemming
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