Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
»zufällige Neugierige« an den Tatort oder zu Hausdurchsuchungen mitzunehmen. Der Autor des Leitartikels behauptete ziemlich unverblümt, Dan Sommerdahl dürfe der Polizei behilflich sein, weil der Ermittlungsleiter auf diese Weise seine eigene Unfähigkeit verschleiern konnte.
Flemming ging in sein Büro, schloss die Tür und rief Dan an. Er gab ihm eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse des Vortages, bevor er sein eigentliches Anliegen ansprach: »Es tut mir leid, Dan, aber ich glaube, du solltest dich in den nächsten Tagen aus den Ermittlungen raushalten. Es gibt hier ein gewaltiges Murren in den eigenen Reihen.«
»Passt mir ausgezeichnet«, erwiderte Dan gelassener, als Flemming es erwartet hatte. »Es gibt da ohnehin ein paar Sachen, die ich zu erledigen habe.«
»Gut«, sagte Flemming. Er blickte über den Rathausmarkt, wo das morgendliche Gewimmel sich langsam legte. »Hast du
Ekstrabladet
gesehen?«, erkundigte er sich dann.
»Das Käseblatt lese ich nicht. Sollte ich?«
»Ich finde, heute schon«, meinte Flemming. »Ich glaube, es wird dich aus mehreren Gründen interessieren. Und ich bin sicher, du verstehst, warum du und dein Detektiv-Gen in der nächsten Zeit etwas zurückhaltender sein solltet.«
Nach dem Gespräch stützte Flemming ein paar Minuten lang den Kopf in die Hände und philosophierte über den Zeitungsartikel. Er wusste, dass es verrückt war, aber wie immer hatte seine Eitelkeit durch den unmittelbaren Vergleich mit Dan einen ernsthaften Knacks abbekommen. Und wie üblich musste er sich zusammennehmen, um seine Irritation nicht gegen seinen alten Freund zu wenden. Streng genommen konnte Dan ja nichts dafür, dass Flemming nicht so smart war wie er. Allerdings war die Polizeiarbeit bisher immer Flemmings Hoheitsgebiet gewesen. Trotzdem war es unglaublich typisch, dass man ihn in seinem ganzen langen Arbeitsleben nur drei bis fünf Mal in der Zeitung erwähnt hatte, während Dan … kaum zwei Tage an den Ermittlungen beteiligt – schwups! –, schon räumte man ihm die Titelseite frei und gab ihm einen Spitznamen. Flemming zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Fast hätte er den Hörer heruntergerissen. »Torp.«
»Der Wachhabende. Bei Ommerup Strand ist eine Leiche gefunden worden.«
»Ja?«
»Wir haben einen Streifenwagen hingeschickt.«
»Und was sagen sie?«
»Frau, Mitte zwanzig, ein paar Wochen oder noch länger tot.«
»Verflucht!« Er kämpfte, um sich den Mantel anzuziehen und gleichzeitig den Hörer am Ohr zu behalten. »Holt Giersing. Und Janssen. Wurde das Gelände abgesperrt?«
»Schon erledigt. Die Techniker sind unterwegs. Giersing ebenfalls. Waage und Janssen warten vor dem Präsidium auf dich.«
Drei Minuten später fädelte sich der Wagen in den Verkehr ein. Pia Waage fuhr, Flemming saß auf dem Beifahrersitz, Frank Janssen wedelte auf dem Rücksitz mit dem
Ekstrabladet
. »Hast du die Zeitung gesehen, Torp?«
»Was glaubst du denn«, brummte er und schnallte sich an.
»Das war ganz sicher Willumsen.«
Flemming drehte sich um. »Wie kommst du denn darauf?«
»Das …« Frank errötete. »Sie, na ja, sie war gestern kurz vor der Weißglut, weil Dan Elisabeth Lund die Möglichkeit gegeben hat, ihre Schwester zu warnen. Sie nannte es einen Skandal. Und Nepotismus und was weiß ich. Von Holck habe ich gehört, dass sie fauchte, damit müsse man zur Zeitung gehen.«
Flemming zog die Augenbrauen zusammen. Er warf Pia Waage einen Seitenblick zu, doch seit sie am Präsidium losgefahren waren, tat die junge Kriminalbeamtin ihr Bestes, um so auszusehen, als wäre sie taub und stumm. Es wäre ihr gegenüber auch unfair gewesen. Wenn Vater und Mutter sich streiten, sollten die Kinder ja auch rausgehalten werden. Flemming beschloss, das Thema zu wechseln, und wandte sich dem Kriminalassistenten auf der Rückbank zu. »Wer hat die Tote gefunden, Janssen?«
»Eine Neunzehnjährige, Auszubildende in einer Parfümerie.« Frank Janssen blickte auf seinen Notizblock. »Benedikte Olsen. Genau genommen hat ihr Hund die Leiche gefunden. Und er hat wohl ziemlich rumgewühlt, bevor seine Besitzerin ihn stoppen konnte.«
»Igitt!«
»Besser hätte ich es auch nicht sagen können.« Frank grinste schief. »Aber ich kann dich beruhigen, der Hund ist jetzt in vertretbarer Entfernung angeleint.«
»Und die Besitzerin? Benedikte Olsen?«
»Ist noch da draußen, wir können sie sofort vernehmen.«
Den Rest der Fahrt am Fjord entlang verbrachten sie schweigend.
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