Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
Messingschild gravieren ließen? In einer Werbeagentur würde das nie funktionieren, dachte Dan. Dort war ein DIN -A 4 -Blatt mit einer Mitarbeiterliste bereits veraltet, bevor man es überhaupt laminiert hatte.
Es sagte tatsächlich viel über den Unterschied zwischen Marianne und ihm aus, dass sie ihr ganzes Leben zielstrebig auf genau diese Praxis in genau diesem Haus hingearbeitet hatte, während er in einem steten Wirrwarr an neuen Kollegen, neuen Kunden und neuen Aufgabengebieten von Job zu Job gesprungen war.
Beide hätten es wohl kaum ertragen, wenn sie das Leben des anderen hätten führen müssen. Nicht dass er besonders stolz auf sein Leben war, zumal im Moment, aber das stand auf einem anderen Blatt. Dan sah auf seine Armbanduhr. 14 . 02 Uhr. Wo blieb Regitze Jung? Sie war doch nicht etwa schon aufgebrochen? Nein, unmöglich. Er hatte nur den Hund nach Hause gebracht und sich eine warme Mütze geholt, es hatte nicht lange gedauert. Tatsächlich stand er bereits über eine Viertelstunde hier, und Marianne hatte gesagt, dass ihre Kollegin das Gebäude erst um zwei verlassen würde. Sollte man je auf die schwachsinnige Idee kommen, Vollzeitdetektiv zu werden, müsste man es jedenfalls ablehnen, Menschen im Winterhalbjahr zu beschatten, dachte er. Das war der langweiligste und kälteste Job, den er je gehabt hatte. Wieder sah er auf die Uhr. Drei Minuten nach zwei. Sechzig Sekunden waren vergangen, seit er das letzte Mal auf die Uhr gesehen hatte. Mist! Dan ging den Bürgersteig auf und ab. Ihm war es ziemlich egal, ob er erkannt wurde. Sowohl Regitze Jung als auch die übrigen Einwohner der Stadt würden denken, es ist lediglich Marianne Sommerdahls lächerlicher, nervenschwacher Ehemann. Der kahlköpfige Werber und Freizeitdetektiv, der nun auch noch anfing, seine arme, hart geprüfte Ehefrau während der Arbeitszeit im Auge zu behalten.
In diesem Moment ging die grüne Doppeltür auf, und Dan erkannte die grauhaarige Frau mit dem roten Brillengestell sofort. Sie hatte eine schwarze Aktenmappe in der Hand, die schwer aussah. Regitze Jung blieb auf der obersten Stufe stehen und stellte die Tasche ab. Sie knöpfte den obersten Knopf ihres knallroten Wollmantels zu und zog eine orangefarbene Strickmütze tief über die Ohren. Nichts leichter, als ihr bei dieser Bekleidung durch die grauen Novemberstraßen zu folgen, in denen die meisten Leute Grau und Schwarz und noch mehr Schwarz trugen. Dan wandte sich einem Schaufenster zu, bis er aus den Augenwinkeln sah, dass die Ärztin eine Treppe hinunterging. Mit festen, zielbewussten Schritten überquerte Regitze Jung den Rathausmarkt. Sie machte einen Bogen um eine große Pfütze neben dem Springbrunnen, den irgendeine beherzte Seele endlich abgestellt hatte. Ihre Stiefel waren schwarz und ebenso teuer wie ihr Mantel.
Als Regitze Jung die südwestliche Ecke des Platzes erreicht hatte, bog sie in eine Gasse ab. Ein paarmal wechselte sie die Tasche von der einen in die andere Hand. Ganz offensichtlich war sie nicht leicht. Wog ihre professionelle Ausrüstung wirklich so viel? Dan achtete darauf, einen gewissen Abstand einzuhalten. Hier zwischen den Häusern waren der Wind und der Lärm der Autos so gedämpft, dass er das Geräusch ihrer Absätze hören konnte, klack-klack-klack. Er war wie hypnotisiert davon, seine Ohren hingen daran, genau wie seine Augen an dem sehr geraden Rücken in diesem roten Mantel klebten. Sie bog ein paarmal ab, und er folgte ihr wie in Trance, ohne bewusst zu registrieren, wohin sie gingen. Erst als sie mitten im westlichen Teil der Stadt vor einer grauschwarzen Haustür mit silbergrauen Graffiti stehen blieb, wurde ihm klar, wo sie sich befanden. Der Schock ließ ihn unvermittelt stehen bleiben. Das konnte doch nicht wahr sein! Als der rote Mantel im Treppenhaus verschwunden war, ging er so nahe heran, dass er das Straßenschild an der Hausecke lesen konnte. Er hatte sich nicht geirrt. Regitze Jungs mysteriöse Verabredungen fanden in der Jernbanegade Nr. 11 statt. In dem Haus, in dem Sally und Lilliana gewohnt hatten und in dem Regitzes Antibabypillen »Nur für den eigenen Praxisgebrauch« gelegen hatten, versteckt zwischen dem armseligen Schmuck einer Afrikanerin.
Dan zögerte einen Moment, dann schob er die Haustür auf. Nur ein paar Minuten nicht dem Wind ausgesetzt zu sein, wäre wunderbar. Er blieb auf einer festgetrampelten Schicht aus Prospekten und Gratiszeitungen stehen und riss sich die Mütze vom Kopf, um besser
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