Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
weigerte sich kategorisch zu erzählen, für wen und wo. Sie war nach Christianssund gekommen, als sie von einer Freundin gehört hatte, dass man hier Arbeit und eine Wohnung bekommen konnte, ohne nach Namen und Personalausweis gefragt zu werden. Sie habe es nie bereut, hierhergekommen zu sein, sagte sie, obwohl sie die Arbeit langweile und der Lohn besser sein könnte. Zumindest hatte sie nichts mehr mit »denen da« zu tun, dabei wedelte sie mit der Hand in Richtung Flemming, ohne ihn anzusehen. Männer. Von ihnen hatte sie offenbar genug.
Als Pia nachhakte, gab sie zu, für die Schrubberkompanie zu arbeiten. Sie und ihre Mitbewohnerin zahlten beide dreitausend Kronen monatlich bar an Miete. Sie weigerte sich jedoch zu erzählen, wie und an wen das Geld ging. Man kann über die Mädchen in der Jernbanegade viel sagen, dachte Flemming, gründlich instruiert waren sie jedenfalls.
»Wie gut kanntest du Sally?«, fragte Pia.
Jo streckte die Hand waagerecht aus und wackelte damit. So lala. »Wir haben zusammen gearbeitet«, antwortete sie. »Also schon, bevor wir hierherkamen. Als Sally damals wegfuhr, habe ich mich nicht getraut mitzukommen. Ich hatte so viele gesehen, die …«
Sie senkte den Kopf. »Sally war zu klug, um einfach abzuhauen«, fuhr sie dann fort. »Sie hat ihm einen Handel vorgeschlagen.«
»Wem?«
Jo riss dramatisch die Augen auf. »Dem Besitzer natürlich.«
»Hilf mir ein bisschen, Jo«, bat Pia. »Was meinst du mit einem Handel? Hat sie sich aus dem Bordell freigekauft, in dem ihr gearbeitet habt?«
Das Mädchen zuckte mit den Achseln und fischte sich eine weitere Zigarette aus Flemmings fast leerer Packung. Sie stieß den Rauch in einem langen, dünnen Strahl aus. »Alle träumen davon, sich freizukaufen, aber niemand kann es sich leisten.« Sie sah Pia an und lächelte. »Sally half dem Besitzer und Johnny Evil bei einem kleinen Brand«, lachte sie. »Sie goss ein bisschen Petroleum aus, hielt ein Streichholz dran – und puff! Dann konnte sie gehen, wohin sie wollte.«
»Johnny Evil?«
»Der Manager.«
»Versicherungsbetrug?«
Noch ein Achselzucken. »Keine Ahnung.«
»Und du? Hast du auch was ausgehandelt, um wegzukommen?«
Sie wand sich und schüttelte dann langsam den Kopf.
»Bist du abgehauen?«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und dieses Mal war Flemming überzeugt, dass sie echt waren.
»Hältst du dich noch immer vor ihnen versteckt?«
Jo nickte, und ein dicker Tropfen zog eine Spur über ihre Wange. »Sally hat mir geholfen«, sagte sie. »Aber sie hatte Angst.«
»Ich dachte, sie hatte eine Vereinbarung mit denen? Sie hatte doch einen Deal, wovor hatte sie dann noch Angst?«
»Sie hat uns geholfen.«
»Sie hatte Angst, dafür bestraft zu werden?«
Jo nickte.
»Von Johnny Evil.«
Noch ein Nicken.
»Was ist passiert, als sie verschwunden war? Hat Lilliana dir geholfen?«
»Sie hatte auch Angst.«
»War sie auch aus einem Bordell geflohen?«
Sie presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
»Gibt es noch andere Mädchen hier in Christianssund, die von dort kommen, wo du mit Sally gewesen bist?«
Nicken.
»Du glaubst, jemand hat Sally ermordet, weil sie dir und möglicherweise einigen anderen geholfen hat, die abgehauen sind?«
Jo rührte sich nicht. Ihre Wangen waren feucht von Tränen, aber sie unternahm keinerlei Anstalten, sie abzuwischen. Pia Waage betrachtete die weinende Frau. Dann legte sie eine Hand auf ihren Arm. »Um dir helfen zu können, Jo, musst du uns ein bisschen mehr erzählen.«
»Ihr schickt mich zurück nach Nigeria.«
»Wer?«
»Die Polizei. Die Ausländerpolizei. Das sagen alle.«
»Und das willst du nicht?«
Jo sah sie mit leeren Augen an. »Hast du noch nie davon gehört, was die nigerianische Regierung mit Frauen macht, die außerhalb der Ehe Sex hatten? Selbst wenn sie vergewaltigt worden sind? Oder weil sie als Sklaven in ein Bordell nach Europa verkauft wurden?«
Pia nickte. »Ich habe in den Zeitungen darüber gelesen.«
»Als ich klein war, habe ich gesehen, wie eine Frau zu Tode gesteinigt wurde. Ich gehe nicht zurück, das sage ich dir.«
»Dann willst du lieber totgeschlagen werden wie Sally? Oder erwürgt wie Lilliana?«, warf Flemming ein. Der Klang der tiefen Männerstimme, die sich so unvermittelt in das Gespräch mischte, ließ beide Frauen zusammenzucken. Offenbar hatten sie ihn fast vergessen. Er beugte sich hinüber zu Jo und versuchte, ihren Blick festzuhalten. »Pia hat recht, Jo. Du musst
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