Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
sich auch schon über die deutlich erhöhte Zahl an Präparaten gewundert, die Regitze in der letzten Zeit verschrieben hat. Soweit ich sehen kann, stimmen die Zusammensetzungen nicht mit den Patienten überein, die sie in ihrer Sprechstunde hat, aber das muss natürlich sorgfältig geprüft werden. Ich hatte nur eine knappe Stunde Zeit.«
Dan überflog die Spalten mit lateinischen Bezeichnungen, Mengenangaben und Patientennamen. »Äh, kannst du mir erklären, was ich hier eigentlich vor mir habe?«, bat er verwirrt.
»Schau.« Marianne beugte sich zu ihm und zeigte mit dem Finger darauf. »Zunächst verordnet sie über fünfzig Prozent mehr Rezepte als ich, obwohl unsere Patientenzahlen identisch sind. Und hier …« Ihr Finger hüpfte von einer Zeile zur nächsten. »… all diese zusätzlichen Medikamente sind nur für den ›Eigenen Praxisgebrauch‹. Das kann einfach nicht stimmen.«
»Sind es Drogen?«
»Ach was. Dann gäbe es eine ganz andere Form der Kontrolle von den Behörden. Das ist schon sehr unterschiedlich. So wie es aussieht, ist ein großer Teil dessen, was sie verschrieben hat, für Frauen.« Ihre Finger begannen wieder über die Liste zu tanzen. »Sie verschreibt so viele Antibabypillen, dass es für mehr als zwanzig Mädchen reichen würde, und dabei habe ich noch die Rezepte abgezogen, auf denen korrekte Patientennamen stehen. Die Antibabypillen sind nicht identisch, es sind zum Beispiel unterschiedliche Mengen Östrogen und Gestagen in ihnen, also sind es höchstwahrscheinlich Pillen für verschiedene Mädchen. Sie verschreibt zudem unglaubliche Mengen an Mitteln gegen Scheidenpilz und Blasenentzündung. Hier sind Rezepte für HIV -Patienten und mehrere Sorten von Antibiotika, sowohl Breitspektrum- wie Schmalspektrum-Antibiotika.« Sie lehnte sich an das Kopfstück des Bettes und rieb sich die Augen. »Außer ein paar bescheidenen Mengen an schmerzstillenden Mitteln haben nur wenige dieser Medikamente auf der Straße einen Wert«, sagte sie und gähnte. »Aber man könnte sich beispielsweise illegale Einwanderer vorstellen, die weder sozialversichert sind noch eine offizielle Adresse haben … sie wären möglicherweise bereit, für ganz normale Medikamente zu bezahlen. Vielleicht bezahlen sie auch einen Notarzt bar, der sie nicht nach ihrer Krankenversicherungskarte fragt und alles kurieren kann, von der Halsentzündung bis zur Hausgeburt.«
»Geburten? Glaubst du, Regitze könnte sogar …«
»Ich vermute das alles nur. Benjamin sagte, Lilliana hätte vor etwas über einem Jahr ein Kind zur Welt gebracht, das höchstwahrscheinlich gestorben sei. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt hat Regitze angefangen, heimlich zu verschwinden. Wenn sie eine Hausgeburt durchgeführt hat, ohne Hebamme und die notwendigen Apparate, dann könnte das Kind durch ihre Schuld gestorben sein. Vielleicht meint sie ja, dass sie diesen Mädchen etwas schuldet?«
»Oder jemand erpresst sie weiterzumachen.«
»Oder so etwas, ja.« Marianne rutschte ins Bett und wandte Dan den Rücken zu. »Ich muss jetzt schlafen, Dan. Ich bin vollkommen erledigt.«
»Hättest du etwas dagegen, wenn ich morgen mit Regitze rede? Ich könnte ja einfach sagen, dass …«
Marianne wirbelte herum. »Untersteh dich, Kontakt zu ihr aufzunehmen!«
»Aber …«
»Regitze ist
meine
Kollegin, und ich habe alle möglichen Regeln verletzt, um dir Informationen zu beschaffen. Du hast versprochen, dass du …«
Dan rückte ein wenig von ihr ab. »Gott bewahre, wieso regst du dich denn so auf?«, sagte er. »Du hast doch gewusst, dass ich diese Informationen möglicherweise verwende.«
»Wenn du sie aufsuchst und anfängst, nach illegalen Patienten zu fragen, dann wird sie sich denken können, woher du dein Wissen hast.«
»Aber die Antibabypillen habe ich doch selbst in der Wohnung gefunden. Damit hast du überhaupt nichts zu tun. Außerdem habe ich sie in der Jernbanegade gesehen.«
Sie runzelte die Brauen. »Nach den Antibabypillen kann die Polizei sie fragen. Und die Jernbanegade vergessen wir. Du hältst dich da raus, Dan!«
»Ja, ja, beruhige dich.«
»Gute Nacht, schlaf schön.« Es gab nicht einmal einen Gutenachtkuss.
Er löschte beide Nachttischlampen. »Gut’ Nacht«, sagte er, obwohl er genau wusste, dass es Stunden dauern würde, bis er wieder einschlafen würde.
[zurück]
Es ist drei Uhr, und noch habe ich keine Minute geschlafen. Die Bettdecke ist feucht und schwer, und unter mir knüllt sich das Laken.
Seit sie
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