Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
seiner Mutter und biss sich auf die Lippen, er fühlte sich offensichtlich unwohl. »Wieso fragst du das?«
»Ich bin bloß neugierig. Weißt du etwas darüber?«
Er schüttelte den Kopf, die schwarzen Dreadlocks wackelten. »Sie hat das Kind letztes Jahr im Herbst bekommen. Im September, glaube ich. Es kam eine Aushilfe, und ich dachte mir, das ist die Mutterschaftsvertretung, also, dass sie ein halbes Jahr oder so wegbleiben würde.«
»Und so war es dann nicht?«
»Lilliana kam bereits zwei Wochen später wieder zur Arbeit.« Benjamin warf noch einen Blick auf seine Mutter. »Ich wollte zu Hause nicht darüber reden, weil Mutter so schwer damit umgehen kann … Ich glaube, Lillianas Kind ist gestorben. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, das dachte ich mir nur. Wir haben nie darüber geredet.«
»Weißt du, wer der Vater war?«
»Keine Ahnung, sie war ja bereits schwanger, als sie nach Christianssund kam.«
»Hast du jemals gesehen, dass Lilliana sich mit jemand anderem als mit dir oder Sally unterhalten hat?«
Benjamin fing wieder an, den Kopf zu schütteln, hielt aber plötzlich inne. »Doch, jetzt, wo du es sagst …«, begann er langsam. »Sie hat ein paarmal mit diesem Regisseur gesprochen.«
»René Holgersen?«
»Ja, ich glaube, so heißt der. Sie verständigten sich meist in Zeichensprache, aber es sah so aus, als würden sie sich verstehen.«
»Keine Ahnung. Könnte schon sein.«
Eine Weile nippten sie an dem inzwischen kalten Kaffee, ohne etwas zu sagen.
»Ich gehe ins Wohnzimmer und schau mir die Nachrichten an«, erklärte Marianne und stand auf.
Dan griff nach ihrer Hand. »Nein, warte bitte noch einen Augenblick, wir müssen noch über eine Sache sprechen.«
Sie setzte sich mit einem Gesichtsausdruck, der signalisierte: wenn es denn unbedingt sein muss. »Dann sag schon.«
»Benjamin und Alice. Ich finde es zunehmend unverantwortlich, dass wir John nicht der Polizei melden. Wir wissen, wo er wohnt, und wir wissen, dass er in die Morde verwickelt sein muss. Das Problem ist, dass ich euch beiden versprochen habe dichtzuhalten. Wollt ihr nicht noch einmal darüber nachdenken?«
Mutter und Sohn sahen sich an. Alice ergriff das Wort: »Kannst du das nicht anonym machen? Andernfalls findet er ja doch heraus, wo wir sind.«
»Tja …« Wieso zögerte er eigentlich? War es nicht egal, woher die Anzeige kam? Oder war es tatsächlich seine Eitelkeit, die er nicht im Griff hatte? War es ihm wirklich so wichtig, Anerkennung zu bekommen? Er schob diese unbequemen Gedanken beiseite. »Tja … für den Anfang ist das sicher okay«, sagte er. »Die Kriminalpolizei wird ihn nach einer anonymen Anzeige aufsuchen und mit ihm reden. Aber irgendwann müssen sie ihn damit konfrontieren, dass es Zeugen der drei Zwischenfälle gibt, die Benjamin und ich mit ihm erlebt haben. Und dann ist es mit der Anonymität vorbei.«
Wieder sahen Alice und Benjamin sich an. Diesmal brach Benjamin das Schweigen: »Du hast recht, Dan. Natürlich muss er geschnappt werden, und natürlich braucht es Zeugen.« Er wechselte wieder einen Blick mit seiner Mutter. »Und wenn die Wahrheit ans Licht soll, brauchen wir halt wieder eine neue Identität – egal, was passiert, oder?« Er schluckte. »So weit waren wir ja schon mal, und so weit werden wir wohl auch heute kommen.«
Dan wandte sich an Benjamins Mutter. »Was sagst du, Alice? Ist das für dich okay, wenn ich zur Polizei gehe?«
Sie legte ihre skelettdünnen Arme über Kreuz und zog die Schultern hoch. »Natürlich, Dan. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll, wäre ich froh, wenn du bis nach dem Wochenende warten könntest.«
»Wieso?«, wollte Marianne wissen.
»Weil am Sonntagabend meine Schwester aus Rhodos zurückkommt. Sie hat eine neue Wohnung gefunden, diesmal in Kopenhagen. Und ich möchte am liebsten so weit weg wie möglich sein, wenn John herausbekommt, dass wir ihn verpfiffen haben.«
»Toi, toi, toi«, sagte Marianne. »Und jetzt will ich fernsehen.«
Adam Holck hatte für die gesamte Ermittlungsgruppe Pizza geholt. Inzwischen war es sieben Uhr, und die Pizza sah ein wenig mitgenommen aus. Alle waren sich einig, dass es heute Abend nicht zu spät werden sollte, aber bevor sie in den Feierabend gingen, war eine letzte Besprechung notwendig. Sie aßen im großen Sitzungszimmer, alle außer Lone Willumsen. Die mürrische Vizekriminalkommissarin hatte vor einer Stunde angerufen, um mitzuteilen, dass sie eine Grippe habe und sofort ins Bett
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