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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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geschlungen, stieg meistens gerade die Sonne aus der silbernen Morgendämmerung empor, und der weite Blick in die Einsamkeit ringsumher machte, dass sie sich selber wie ein Insekt fühlte, winzig und unwichtig.
    Sie brachte es nie über sich, an dem Platz zu essen, an dem sie übernachtet hatte. Sie band ihre Yuks los, belud sie, nahm ihnen die Augenbinden ab und hatte es eilig weiterzukommen. Unterwegs kaute sie dann getrocknetes Baraq-Fleisch aus ihrem Vorrat oder aß eine Frucht, wenn sie eine hatte.
    Borlons Haus. Es war auch gut, morgens dort anzukommen. Narana, die junge Nebenfrau Borlons, würde ihr einen Tee kochen; das tat sie jedes Mal. Und dann würde sie ihr etlichen Stoff abkaufen, weil sie sehr gern und viel nähte.
    Doch als Ubhika Borlons Haus erblickte, aus weiter Ferne noch, da kam es ihr sofort merkwürdig vor – viel dunkler, als sie es in Erinnerung hatte, beinahe schwarz, wie abgebrannt. Und als sie näher kam, sah sie, dass von Borlons Haus tatsächlich nur noch übrig war, was auch ein gewaltiges Feuer nicht hatte zerstören können.
    Von einer grausigen Faszination getrieben, ritt sie darauf zu, bis sie schließlich vor verkohlten, nach Feuer und Zerstörung riechenden Mauerresten stand, zwischen denen sich die Asche der Holzbalken und Dachschindeln häufte. Sie fühlte sich wie ein Aasfresser, der an den Schauplatz eines Dramas kommt, das er nicht miterlebt hat, und dem nur bleibt, die Überbleibsel für sich zu nutzen. Vielleicht lagen irgendwo noch ein paar Münzen in der Asche.
    Ubhika erkannte die Grundmauern der Küche, in der sie manches Mal mit den Frauen gesessen hatte, und daneben die kleine Kammer, in der sie oft geschlafen hatte. Weiter ins Haus war sie nie gekommen. Erstjetzt, als sie durch die verrußte Ruine schlurfte und mit ihren Füßen Asche und den Geruch von Rauch aufwirbelte, sah sie, was für Räume es sonst noch gab im Haus eines Haarteppichknüpfers. Welches wohl das Knüpfzimmer gewesen war? Sie hätte es zu gerne gewusst.
    Sie entdeckte rußige Fußspuren, die von den Trümmern wegführten und sich irgendwo im Geröll verliefen – die Familie des Haarteppichknüpfers schien den Brand überlebt zu haben.
    Aber sie fand kein Geld, und auch sonst nichts, was es wert gewesen wäre mitzunehmen. Schließlich beschloss sie weiterzuziehen. Immerhin hatte sie eine interessante Neuigkeit, die sie erzählen konnte; ein wenig ausgeschmückt mochte ihr das zu guten Geschäften und vielleicht sogar einer Mahlzeit hier und da verhelfen.
    Und dann stand plötzlich dieser Mann am Wegesrand. Einfach so, mitten in der Einöde.
    Ubhika lenkte ihr Reit-Yuk misstrauisch näher, eine Hand um den Griff des Knüppels gelegt, den sie am Sattel trug. Aber er winkte ihr freundlich zu und lächelte. Und er war jung …
    Sie ertappte sich dabei, wie sie sich unwillkürlich die Haare zurechtzupfte, während sie langsam näher heranritt. Eigentlich bin ich auch noch jung, dachte sie überrascht, nur mein Körper hat mich verraten und ist gealtert. Trotzdem ließ sie ihre Hand sinken, aus Angst, lächerlich zu wirken.
    »Sei gegrüßt«, sagte der Mann. Es klang merkwürdig. Seine Art zu sprechen hatte etwas Hartes, Fremdartiges.
    Und merkwürdig gekleidet war er auch. Er trug ein Gewand aus einem Stoff, wie ihn Ubhika noch nie gesehen hatte, das ihn vom Hals bis zu den Füßen vollständig einhüllte. Auf der Brust trug er ein glitzerndes Schmuckstück und einen Gürtel um die Mitte, an dem allerlei Beutel und dunkle kleine Kästen befestigt waren.
    »Sei gegrüßt, Fremder«, erwiderte Ubhika zögernd.
    Der Mann lächelte noch breiter. »Mein Name ist Nillian«, sagte er, und er schien sich zu bemühen, seinen Tonfall dem Ubhikas anzugleichen. »Ich komme von sehr weit her.«
    »Von woher?«, fragte Ubhika fast automatisch.
    »Von Lukdaria«, sagte der Mann. Er sagte es mit einem leichten Zögern, wie jemand, der Zuflucht zu einer Lüge sucht und befürchtet, durchschaut zu werden.
    Ubhika hatte noch nie von einer Stadt oder einer Gegend dieses Namens gehört, aber das mochte nichts heißen. Dass der Fremde von sehr weit her kam, sah man schließlich. »Ich heiße Ubhika«, sagte sie und fragte sich, warum sie nervös war. »Ich bin eine fahrende Händlerin, wie Ihr seht.«
    Er nickte. »Das heißt, Ihr verkauft die Dinge, die Ihr bei Euch habt?«
    »Ja.« Was denn sonst, dachte sie und studierte sein Gesicht. Er sah kräftig aus und lebenslustig; ein Mann, der wild tanzen und laut lachen und

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