Die Haarteppichknüpfer - Roman
dreihundert bis vierhundert Millionen. Viele mittelgroße Städte, alle im Zustand des Verfalls. Kaum Bodenschätze, Landwirtschaft nur unter schwierigsten Bedingungen. Wasserknappheit.«
Was er an Nillian bewunderte, war dessen unglaubliche Dynamik, diese geradezu animalische Energie, die er ausstrahlte und die ihm etwas Wildes, Unzähmbares gab. Vielleicht lag es daran, dass er nicht so viel zu denken schien; dass seine Worte, seine Handlungen und seine Entscheidungen eher aus dem Bauch heraus kamen, geradewegs, ungekünstelt, unverstellt und kaum durchdacht. Seit er mit Nillian zusammen flog, ertappte sich Nargant oft dabei, wie seine eigenen Denkprozesse um unzählige Ecken gingen, selbst bei völlig belanglosen Entscheidungen, und wie viel Energie er beinahe automatisch darauf verschwendete, sich nach allen Seiten und gegen alle Eventualitäten abzusichern.
Er beobachtete Nillian von der Seite. Der junge Nebenpilot saß in seinem Sessel, entspannt zurückgelehnt, das Mikrofon der Aufzeichnungsanlage vor den Lippen, und studierte aufmerksam die Bildschirme und die Anzeigen der Fernanalyseinstrumente. Seine Konzentration war geradezu mit Händen greifbar. Auf den Schirmen leuchteten verschiedene Aufnahmen der planetaren Oberfläche, graubraun, ohne besondere Konturen. Der Computer hatte einige weiße Linien eingeblendet, zusammen mit Angaben über die Verlässlichkeit der Analyse.
»Die Instrumente zeigen etwas an«, fuhr Nillian fort, »was mit einiger Wahrscheinlichkeit rudimentäre Reste einer versunkenen Hochkultur sein dürften. Vom All aus kann man mit bloßem Auge gerade Linien ausmachen, deren Verfärbung die Grundmauern einstiger großer Bauwerke vermuten lässt. Sehr großer Bauwerke. In der Atmosphäre messe ich Zerfallsprodukte radioaktiver Elemente; geringe Reststrahlung. Möglicherweise ein atomarer Krieg vor mehreren zehntausend Jahren. Es gibt geringe elektromagnetische Aktivitäten, eine einfache Art von Funk vermutlich, aber wir lokalisieren keine großen Energiequellen. Mit anderen Worten«, schloss er, und seine Stimme nahm einen Tonfall unduldsamer Ironie an, »es zeigt sich ein ganz ähnliches Bild wie all die Male vorher auch. Ich glaube nicht, dass wir mehr herausfinden, wenn wir weiterhin darauf verzichten, auf den Planeten zu landen, die wir anfliegen. Natürlich ist das meine persönliche Meinung, aber ich hätte nichts dagegen, wenn die Expeditionsleitung dies als Empfehlung interpretiert. Bericht von Nillian Jegetar Cuain, von Bord der KALYT 9. Standardzeit 15-3-178002, letzte Eichung 4-2. Position Planquadrat 2014-BQA-57, im Orbit um den zweiten Planeten der Sonne G-101, Ende.«
»Willst du das etwa so senden?«
»Warum denn nicht?«
»Diese letzten Bemerkungen sind doch ziemlich … frech, oder?«
Nillian grinste kopfschüttelnd, beugte sich zu den Armaturen der Sendeanlage hinüber und löste mit routinierten Handgriffen die Mehrfachabstrahlung seines Anflugberichts aus. »Das Problem mit dir, Nargant«, erklärte er dann, »ist deine lebensfremde Erziehung. Du bist in dem Glauben aufgewachsen, dass Vorschriften wichtiger sind als alle Gegebenheiten, die du jemals vorfinden könntest, und dass der geringste Ungehorsam unweigerlich tötet. Sonst hast du nicht viel gelernt, aber dieser Gehorsam ist dir in Fleisch und Gebein übergegangen, und wenn man dich eines fernen Tages nach deinem Ableben einmal auseinander schneidet, wird man an Stelle von Knochenmark wahrscheinlich kristallinen Gehorsam vorfinden.«
Nargant starrte seine Hände an, als versuche er, durch die Haut hindurchzusehen und festzustellen, ob Nillian Recht hatte. »Du wirst keinen Rebell mehr aus mir machen, Nillian«, murmelte er unbehaglich.
Das Dumme war, dass er es selber spürte. Seit er mit dem ehemaligen Rebellen zusammen unterwegs war und sich neben ihm erlebte, kam er sich vor wie ein Fossil.
»Du wirst auch kein Rebell mehr werden, kaiserlicher Soldat«, erwiderte Nillian. Er war jetzt ernst. »Das ist ja zum Glück auch nicht mehr nötig. Aber es wäre mir sehr lieb, wenn du den alten Drill ein wenig vergessen könntest. Nicht nur um deinetwillen, auch um meinetwillen. Wie lange sind wir jetzt schon unterwegs? An die vierzig Tage. Vierzig Tage, nur du und ich in diesem kleinen Expeditionsboot, und ehrlich gesagt: Ich weiß immer noch nicht, ob du mich eigentlich leiden kannst. Oder ob du es nur mit mir aushältst, weil man es dir befohlen hat.«
»Doch«, sagte Nargant. »Ich kann dich gut
Weitere Kostenlose Bücher