Die Haarteppichknüpfer - Roman
Plätze. Damals stand hier eine riesige Stadt, die Hauptstadt eines mächtigen Reiches. Breite Straßen führten in alle Himmelsrichtungen, weiter als das Auge reichte, und zogen Schneisen durch das Meer reicher Gebäude. Der Verkehr auf den Alleen und Plätzen hörte niemals auf, ganz gleich, ob es Tag war oder Nacht. Wirklich Nacht wurde es sowieso niemals in dieser Stadt, die stets in einen goldenen Glanz getaucht war. Ihre Bewohner waren glücklich und wohlhabend, und wann immer man den Blick zum Himmel hob, sah man die silbernen Leiber gewaltiger interstellarer Raumschiffe, die ihre wolkigen Spuren über den klaren Himmel zogen, ehe sie auf dem Handelshafen landeten oder die Lufthülle des Planeten verließen, um mit ihrer Fracht ferne Ziele anzusteuern, irgendeinen der Sterne, die millionenfach da oben funkelten und riefen.
Doch dann verloschen die Sterne …
Nichts ist mehr übrig von der Stadt, die einst unsterblich, unbezwingbar schien. Man könnte graben, so viel man wollte, und würde keine Spuren der Menschen finden, die hier einst lebten. Keine verschütteten Reste von Grundmauern, keine Hinweise auf Straßen, nichts. Es gibt nur noch Tag und Nacht, Hitze und Kälte, Regen ab und zu und immer den Wind, der ewig und ewig über das Tiefland zieht und den graubraunen Staub vor sich hertreibt, mit dem er gnadenlos und unablässig an dem steinernen Zierrat des Palastes nagt, des einzigen Bauwerks, das noch steht. Damals, als es hier noch Menschen gab, galt ihnen der Palast als das schönste Bauwerk der Galaxis. Doch die zersetzenden Kräfte der Zeit lassen davon nichts mehr erahnen: Die steinernen Rosetten seiner Türme, einst zart sich entfaltenden Blüten gleichend, sind zu unförmigen grauen Klumpen abgeschliffen, und von den kunstvollen Reliefbildern an den Wänden, die zu sehen einstmals Menschen viele Lichtjahre gereist sind, ist nichts mehr übrig, nicht einmal Spuren, die verraten könnten, wo sie sich befunden haben. Der Palast liegt zerfallen und verlassen. Geborstene Mauern und eingestürzte Dächer ergeben sich dem Wind und dem Regen. Kälte und Hitze zerren an den Resten des Gemäuers, und ab und zu birst ein Stein, kollert ein Bruchstück herab. Sonst geschieht nichts. Nirgendwo in den Höfen und Quergängen kündet mehr eine Spur von menschlichem Leben.
Der einzige Gebäudeteil, der noch völlig unversehrt steht, ist der Thronsaal selbst. Mit stolzen, schlanken Fenstern überragt er alle Trümmer und Ruinenteile, und geheimnisvolle Kräfte haben die fein ziselierten Ornamente an seinen Stützstreben, den verspielten Zierrat seiner Gesimse und die scharfe Kannelierung seiner Säulen vor dem Zerfall bewahrt.
Der Thronsaal ist eine gewaltige Halle, deren Gewölbe von mächtigen Pfeilern getragen wird. Vor undenklichen Zeiten sind hier verschwenderische Feste gegeben, ergreifende Reden gehalten und erbitterte Verhandlungen geführt worden. Zahlreiche Siege hat dieser Saal gesehen und ebenso viele Niederlagen. Nein – eine Niederlage zu viel …
Seither ist das mächtige Eingangsportal verschlossen und versiegelt. Die goldenen Intarsien auf der Innenseite der Türflügel sind noch erhalten, aber man kann sie nicht sehen. Sie sind verdeckt von einem riesigen Porträt, das von einer Reihe ewig leuchtender Lampen angestrahlt wird.
Der goldene Thron des Herrschers steht an der gegenüberliegenden Stirnseite auf einem Podest. Und auf diesem Thron, regungslos, sitzt das einzige lebende Wesen, das diese Mauern noch beherbergen: der Herrscher selbst. Unbewegt sitzt er da, hochaufgerichtet, die Arme auf den Lehnen liegend. Man könnte ihn für sein eigenes Standbild halten, würden nicht seine Augen müde blinzeln und sich sein Brustkorb mit dem Atem gleichmäßig heben und senken.
Von seinem Platz aus kann er durch die Fenster hinaus auf die Ebene rings um den Palast sehen, bis zum Horizont. Auf einem Tisch vor ihm stehen zwei große Monitore, die vor langer, langer Zeit einmal funktionierten und ihm Bilder weit entfernter Orte zeigten. Aber irgendwann wurden die Bilder schwächer, bis nur noch graues Flimmern auf den Schirmen zu sehen war für Jahre und Jahrhunderte. Schließlich erlosch erst der eine, später dann der andere Schirm. Seither stehen die Geräte schwarz und still und nutzlos vor dem Herrscher.
Der Blick durch die Fenster bietet ein immer gleiches Bild: eine eintönig graue Ebene, die irgendwo in der Ferne in den eintönig grauen Himmel übergeht. Und nachts ist der Himmel schwarz,
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