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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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betreten. »Das hat niemand ahnen können …«
    Sie schloss ihn in die Arme und presste ihn mit der Verzweiflung des Abschieds an sich. »Jetzt hast du gewonnen und trotzdem verloren, du … du Idiot!«
    »Das ist nicht endgültig, Iva«, flüsterte er hilflos.
    »Du wirst mich bald vergessen. Du wirst in die Obere Sektion gehen und nicht mehr an mich denken.«
    Er schüttelte den Kopf, und in seiner Kehle spürte er ein würgendes Gefühl. »Ich werde dich nicht vergessen. Ich sehe dich wieder. Ich sehe dich wieder, das verspreche ich.«
    Allgewaltige Schwärze, zitternd und pulsierend, ein unheimlicher Mahlstrom aus undurchdringlicher Dunkelheit, der die Sterne zu verschlucken schien. Das Transferschiff war wie ein Staubkorn, als es auf den riesigen Strudel zutrieb.
    »Und wieder einmal zur dunklen Welt«, sagte einer der Männer im Cockpit.
    Tausendmal hatten sie den Sturz schon gewagt, aber die Tunnelfahrer hielten immer noch den Atem an.
    Die Schwärze schien sich aufzublähen. Es war ein Gefühl, als kippe man über den Rand eines Katarakts. Das Transferschiff verschwand aus dem Universum.
    Die Anschlüsse lagen bereit. Das Gestell, das das neue Mitglied der Oberen Sektion aufnehmen würde, war geöffnet, die Nährlösungen pulsierten gleichmäßig durch das Geflecht durchsichtiger Leitungen.
    Der Arzt kontrollierte die Instrumente. Sie zeigten normale Funktion. Ein Routinefall.
    Flexible silberne Schläuche führten in den halbgeöffneten Mund des Patienten, grauweiße Kabel endeten in den Nasenlöchern und in Einschnitten am kahlrasierten Hinterkopf. Augen und Ohren waren bereits entfernt und durch Steckmodule ersetzt worden. Der Blick des Arztes glitt beiläufig über den schlanken, sehnigen Körper des jungen Mannes, der nackt vor ihm auf dem Tisch lag, und er spürte ein flüchtiges Bedauern. Dann vertrieb er diese Gedanken, setzte die Säge an und begann, den Kopf vom Rumpf zu trennen.
    »Iva, du musst ihn endlich vergessen.« Feuk hielt Ivas zarte Hände in seinen gewaltigen Pranken und sah sie hilflos an. Ihr Blick war in eine ungewisse Ferne gerichtet. »Er ist jetzt in der Oberen Sektion und gehört zur Führungsebene. Glaubst du nicht, dass er sich jederzeit melden könnte, wenn er wollte?«
    Iva schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass er mich so schnell vergessen hat.«
    Er sah durch tausend Augen und hatte tausend Arme. In seinen Gedanken hörte er die Befehle, die auszuführen waren, und allein mit seinen Gedanken dirigierte er auch die Staffeln ferngesteuerter Kampfroboter, die durch den Weltraum rings um die Portalstation kreuzten. Angeschlossen an das Computersystem der Portalstation, dessen Leitungen und Schalteinheiten die gesamte Raumstation durchzogen, sah er alles, und er würde Jahrhunderte leben.
    Ich sehe dich, Iva. Durch tausend Augen sehe ich dich. Habe ich dir das nicht versprochen?

Der Palast der Tränen
    Dies ist ein einsamer Planet, der einsamste Planet des Universums und sein verfluchtester Ort. Hier gibt es keine Hoffnung. Der Himmel ist allezeit bleigrau und schwer, trostlose Wolken ziehen über ihn, und bei Nacht sieht man keine Sterne, niemals. Dieser Planet hatte einmal einen Namen, aber wer erinnert sich noch an ihn? Das übrige Universum hat diese Welt vergessen, ihre Bewohner und ihr Schicksal, und auch ihren Namen.
    Irgendwo auf dieser Welt gibt es eine weite, verlassene Ebene, die von Horizont zu Horizont reicht und noch weit darüber hinaus. Nichts wächst hier, nichts lebt, kein Strauch, kein Grashalm, keine Pflanze und kein Tier, alles ist grauer Fels und grauer Staub. Gäbe es jemanden, der es auf sich nehmen würde, quer über dieses Flachland zu marschieren, er würde über Tage und Wochen keine Erhebung und kein Tal finden, nichts zu essen und nichts zu trinken und keine Abwechslung außer dem Auf- und Untergang der trüben Sonnenscheibe – bis er eines Tages die Silhouette eines großen Bauwerks am Horizont erspähen würde: Dies ist der Palast der Tränen.
    Hoch ragen die brüchigen Zinnen seiner Türme in den Himmel, wie das zerfallende Gebiss eines alten Kriegers, der nicht aufgibt, solange er lebt. Von diesen Zinnen schmetterten einst prachtvoll uniformierte Trompeter ihre Fanfaren in den Abend – aber das ist so lange her …
    Könnte man die Zeit zurückdrehen, weit, weit zurück, dann gäbe es die Ebene nicht. Überall, wo jetzt flach geschabter Fels ist, stünden Häuser, zögen sich Straßen, erstreckten sich prachtvolle

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