Die Habenichtse: Roman (German Edition)
immer neue Kannen mit Wasser wurden ihnen gebracht, –London zehrt, erklärte Alistair ernsthaft, ihr eßt viel zu wenig. –Und dann gehen wir etwas trinken, sagte Jakob, er schien sehr gut gelaunt, aber Alistair fuhr sich oft und öfter durchs Haar, war blaß und sagte, daß er schleunigst nach Hause müsse, umarmte sie beide und war davon, während Jakob und Isabelle sich noch einmal verliefen, Hand in Hand durch die Straßen irrten, bis sie ein Taxi anhalten konnten.
Am nächsten Morgen erwachte Isabelle beruhigt und heiter. Ein Tag löschte den nächsten aus, dachte sie, und in der Nachbarwohnung blieb es still. Aber das Vergessen hatte seinen Widerpart und Gegner; Polly tauchte, wann immer Isabelle ans Fenster oder vor die Tür trat, auf der Straße auf. Einmal sprang sie auf die Fensterbank im Erdgeschoß, miaute, bis Isabelle auf sie aufmerksam wurde, und verschwand wieder.
Ein paar Tage lang arbeitete Isabelle fast ohne Unterlaß, ging nur zum Einkaufen hinaus, telefonierte mit Peter, mit der Lektorin des Kinderbuchverlags, mit den jungen Leuten, die den Hörbuchverlag aufmachten und von ihrem Entwurf begeistert waren. Auch mit Andras sprach sie, er war aus Budapest zurückgekehrt, mißmutig, als wäre eine Niederlage, was seine eigene Entscheidung war. Isabelle hörte seiner Stimme an, daß sein Mißmut noch andere Gründe hatte, mochte aber nicht danach fragen, als würde seine Antwort einen sicheren Rückzug für sie selbst abschneiden. Andras war weniger zurückhaltend. –Was ist eigentlich mit dir los? Wo ist deine nette, helle Schulranzenstimme geblieben? Veränderst du dich womöglich?
Daß es ihr gutginge, beharrte Isabelle, und das war die Wahrheit, aber Andras hatte trotzdem recht. Sie veränderte sich. Sie wußte nicht, wie und was es bedeutete. –Du klingst, als fändest du dein bisheriges Leben recht eintönig, beharrte Andras, und Jakob, was ist mit Jakob? fragte er, doch sie wußte keine Antwort.
Jakob kam gegen neun nach Hause, sie aßen zu Abend, und er ging früh zu Bett. Er fragte nicht, warum sie auf einmal so häuslich war. Vielleicht gefiel es ihm. Sie umarmten sich liebevoll, dabei blieb es. Und da war Polly. Als Isabelle, es ging schon auf Mitternacht zu, aufstand und sich in ihr Arbeitszimmer setzte, hörte sie von draußen eine Stimme rufen und rufen, –Sara, Sara, wo bist du? Dann war es wieder still. Eine halbe Stunde später sprang Polly triumphierend auf die Fensterbank. Heftig stieß Isabelle sie herunter.
Tags darauf, sie war mit der U-Bahn von Camden Town gekommen, stand vor dem Ausgang der Kentish Town Station Jim, als habe er auf sie gewartet. –Da bist du ja, sagte er und grinste sie an.
30
Es geht alles nach Plan, sagte er sich, aber das war Unsinn, eines nach dem anderen ging schief. Er hatte wahrhaftig einen Brief erhalten, ordentlich in einem Umschlag an ihn adressiert, mit ein paar Rechnungen und Reklameheften durch den Schlitz in der Tür geschoben, und zufällig lag er obenauf. Sein Name. Damian hatte ihm einen Brief geschrieben, nach mehr als einem Jahr, wie umsichtig, dachte Jim höhnisch, als er den Absender entziffert hatte. Damian also. Nur sein Name, keine Adresse. Die andere Post lag in einem Karton in der Küche, Rechnungen, die von irgendwo abgebucht wurden, Rechnungen, die Jim bezahlt hatte, und jetzt der Umschlag mit Jims Namen, in großen Druckbuchstaben, damit es garantiert jeder lesen kann, dachte Jim aufgebracht und ließ den Brief liegen. Aber am nächsten Tag öffnete er ihn doch, nestelte das Blatt aus dem Umschlag, das war Damian, der ihn dazu zwingen konnte, den Umschlag zu öffnen und diese vier Zeilen zu lesen, als hinge wer weiß was davon ab. Daß es ihm ausgezeichnet gehe, daß er deswegen viel länger, Monate länger, geblieben sei als geplant. Aber wo? fragte sich Jim und drehte Blatt und Bogen. Jetzt würde er allerdings zurückkommen , also hoffe ich, mein Alter, daß Du eine andere Unterkunft findest. In drei Wochen bin ich zurück.
Es war ein Rausschmiß, nicht mehr und nichts anderes, Jim zerriß den Brief in Schnipsel, trat gegen das Sofa. Das war es. Und er wußte nicht, wohin. Leutselig, ekelhaft. Weil Damian Geld hatte, weil er seine Eltern hatte, die das Geld hatten, und er, Jim, mußte dankbar sein für all die Monate, die er hier gewohnt hatte, ohne einen Cent zu bezahlen. Er schaute sich um, es war ziemlich aufgeräumt, so, wie es Mae gefallen hätte, und eines Tages, hatte er gedacht, würde er sie hierherbringen
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