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Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Die Habenichtse: Roman (German Edition)

Titel: Die Habenichtse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Nachrichten, nicht für ihn, und Hisham würde nicht ihr Überbringer sein.
    –Zwei Brüder meiner Frau sind verschwunden, kapierst du? Ich weiß, was das heißt, wenn man jemanden sucht und nicht einmal weiß, ob er noch lebt.
    –Was geht mich das an? Steckst du deswegen deine Nase in meine Angelegenheiten? Jims Blick wanderte durch das Zimmer. Da lag der Stuhl, da die Hälfte des Tellers. –Was ist hier eigentlich los? murmelte er. Die letzte halbe Stunde, seit er Hisham die Tür geöffnet hatte, verschwamm, löste sich auf wie Rauch, in dieser Luft, die zu dicht war, zu voll von etwas, das er nicht begriff. Was ist das, dachte er, es ist wie ein Schmerz, warum will Hisham mir weh tun? – Laß, sagte er, du mußt mir nichts erzählen.
    –Ich habe sie gefunden, sagte Hisham ruhig, ich habe Mae gefunden. Mae.
    –Laß, wiederholte Jim, aber es war zu spät, er richtete sich auf, folgsam wie ein Kind, legte die Hände auf die Knie, spürte, wie die Schnittwunden pochten, und der Teppich würde voller Flecken sein. Es ist nichts, dachte er. Sein Kopf war leer. Isabelle fiel ihm ein, wie sie vor ihm stand und auf etwas wartete. Vielleicht konnte Hisham ihm helfen, ein Zimmer zu finden, bestimmt hatte er ein Auto, er könnte ihn hier abholen und ihm helfen umzuziehen, ein Zimmer zu finden, außerhalb von London vielleicht, in irgendeinem Vorort. Jetzt ging Hisham, als wäre es seine Wohnung und Jim sein Gast, in die Küche, öffnete den Kühlschrank, kam mit zwei Bierflaschen zurück, brüderlich, hilfsbereit, streckte ihm ein Bier hin, und Jim nahm es, trank in großen Schlucken.

    Als er aufwachte, wurde es gerade hell. Er lag auf dem Sofa unter einer Decke, die Schuhe standen einer neben dem anderen ordentlich davor, das Zimmer war aufgeräumt. Auf dem Tisch stand ein Glas Wasser, er wußte nicht, wozu. Neben dem Glas lag ein Briefumschlag. Er nahm das Glas, roch daran, es roch nach nichts, anscheinend war es wirklich nur Wasser. Seine Füße taten weh. Noch einmal roch er an der durchsichtigen Flüssigkeit. Er mußte eingeschlafen sein, bevor Hisham gegangen war. Das Licht gefiel ihm, und er stand auf, schlüpfte vorsichtig in die Turnschuhe und ging, möglichst leicht auftretend, zu der Tür, die in den Garten führte. Kein Garten, dachte er, nur ein verkommenes Stück Gras und Abfall, zwei oder drei Tüten, die er selbst achtlos hinausgeworfen hatte. Das Gras war feucht von Tau oder von Regen, er wußte nicht, ob es nachts geregnet hatte. Hisham würde er nicht wiedersehen. In den Zweigen eines Baumes, der hinter der Mauer wuchs, machte sich ein Eichhörnchen zu schaffen. Jims Kopf war leer und klar, nicht mehr als ein paar dünne Linien darin, wie die Kondensstreifen der Flugzeuge im leeren Himmel, Linien, die keinen Sinn ergaben, so wie Hisham keinen Sinn ergab, keine seiner Handlungen oder Entscheidungen, jedenfalls nicht für Jim. Weder Rachsucht noch Haß, eher das, was Jim gestern hatte glauben wollen, eine Art Brüderlichkeit, als wollte Hisham ihn zurückholen, ohne zu begreifen, daß es für Jim kein Zurück gab, keine Frau und keine Neffen, kein Restaurant. Aber er hätte ihm nicht trauen dürfen. Am Ende war Hisham schlimmer als Albert oder Ben. Unberechenbar. Grausam.
    Jim ging in die Küche, öffnete die Schränke, suchte etwas zu essen, setzte Teewasser auf, fischte einen Teebeutel aus der Schachtel, wartete. Dann holte er unter dem Spülstein Besen und Kehrschaufel hervor, fegte die Scherben zusammen. Der Teekessel pfiff. So ist es, dachte er, wenn man Fieber hat. Da sind Gedanken, aber sie funktionieren nicht, sie kippen um. Auf dem Tisch im Wohnzimmer der Umschlag. Hatte ihm ein Bier gebracht, und ihm dann den Umschlag hingestreckt. –Ich dachte, Albert steckt dahinter, ich dachte, er hat Mae aus dem Verkehr gezogen.
    Jim machte eine heftige Handbewegung, Tee schwappte über den Tassenrand. Er hatte den Umschlag nicht angerührt. Aber Hisham hatte nicht lockergelassen. –Deine kleinen erbärmlichen Lügen. Schau es dir an, ich habe sie fotografiert, damit du sie dir übers Bett hängen kannst.
    Er wußte, wie man sich auf körperliche Schmerzen vorbereitete, was man tun mußte, um sie ertragen zu können, aber das hier war etwas anderes. Für einen Augenblick schöpfte er Hoffnung. Wenn es anders war – vielleicht täuschte er sich? Hisham hatte ein Foto herausgezogen. –Erkennst du sie noch? Ich habe ihr gar nicht gesagt, daß ich weiß, wo du bist. Aber etwas fehlt, dachte Jim, immer

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